Inspektor Jury lichtet den Nebel
die ‹imperiale Phase› wegläßt – ich meine die der Vereinigten Staaten –, was genau hat man sich unter Updikes ‹leicht überlegenem Ton› vorzustellen?»
«Wahrscheinlich den von Withers.» Trueblood rief zu dem Aschenputtel hinüber: «Withers, altes Haus, noch einen Gin mit Schuß?»
Mrs. Withersby hatte gegen ein weiteres Gläschen nichts einzuwenden, humpelte zur Bar und spuckte im Vorbeigehen in den Kamin.
Trueblood fuhr fort: «Nein, ‹leicht überlegen› ist eher der Ton von Franco Giopinno, Vivians schmierigem Italiener.»
Vivian Rivington, eine langjährige und (nach dem Geschmack von so manchem) schöne Freundin, weilte in Italien, wo sie ihren ‹schmierigen Italiener besuchte.
«O ja. Genau, das ist es», sagte Trueblood und staunte einmal wieder über sich selbst. «Was meinen Sie, ist sie nun nach Venedig gefahren, um bei ihm zu wohnen oder um ihm beizuwohnen – oh, Verzeihung, altes Haus –» Er schaute Agatha mit Unschuldsmiene an. «Das war wohl etwas daneben.»
«Bei mir brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, Mr. Trueblood! Von Ihnen bin ich einiges gewohnt.»
Trueblood und Melrose sahen sich an.
«Aber wenn sie sich nun für so überlegen hält –»
«Tja ja. Leicht überlegen», sagte Trueblood. «Das ist, als würde man ‹leicht anständig› sagen. Finden Sie nicht, Melrose? Ich weiß doch, wie gern Sie Vivian mögen.»
Solche Sprüche machte Trueblood immer, wenn Lady Ardry zugegen war. Melrose wußte, sie hätte Trueblood liebend gern eins mit ihrem Stock übergezogen, aber sie wollte Plant unbedingt vom Thema Vivian ablenken.
«Also, ich finde die Kritik äußerst unamerikanisch.»
«Na ja, Updike jedenfalls kommt nicht besonders gut weg», sagte Melrose.
«‹Ein typisch amerikanisches Sendungsbewußtsein, das die ganze Welt für den geeigneten Empfänger amerikanischer Segnungen hält.›» Da konnte er nur noch den Kopf schütteln. «Wie kommen die Briten dazu, sich über Imperialismus aufzuregen … ziemlich billig.»
Agatha hatte jedoch nur eins im Auge, nämlich ihr Glas.
«Und hier machen sie noch eine amerikanische Schriftstellerin fertig. Angeblich schreibt sie so ‹ladylike wie eine Amerikanerin›. Da möchte ich doch wirklich mal amerikanische Ladys kennenlernen, mal sehen, was die so anders machen.» Melrose sah Trueblood an, glaubte aber nicht, daß der etwas zum Thema beisteuern konnte.
«Was mich angeht», sagte Agatha, «so habe ich die Absicht, im guten alten England zu bleiben.» Sie streichelte ihren hochgelagerten Knöchel. «Keine Macht der Welt bringt mich in die Vereinigten Staaten zurück.»
Ein triftiger Grund für einen Massenexodus, dachte Melrose. Aber warum sollte sie auch in die Staaten zurückkehren? Hier hatte sie alles, was ihr Herz begehrte. Ihr Pech, daß sich alles in Ardry End befand – das Kristall, die Queen-Anne-Möbel, die Dienstboten, Ländereien und Schmuck … Na ja, nicht der ganze Schmuck, auf ihrem wogenden Busen erblickte Melrose nämlich eine kunstvoll ziselierte Silberbrosche, die er zuletzt bei seiner Mutter gesehen hatte. Die Countess of Caverness war schon eine ganze Weile tot. Seine Tante wollte wohl ihre Nachfolge antreten, und dabei war Agatha genaugenommen gar keine Lady. Sie war lediglich mit Melroses Onkel – dem Ehrenwerten Robert Ardry – verheiratet gewesen. Agatha fand, die Toten sollten ihre Toten begraben, nicht jedoch die Titel, und war nun schon lange mit Kuchen und Schnaps verheiratet.
«Ich kann es gar nicht glauben», sagte Melrose, «daß jemand Amerika freiwillig den Rücken kehrt, um in einem Land der Amateure zu leben.»
Trueblood zog die Brauen hoch: «Bezieht sich das auch auf Antiquitätenhändler?»
Agatha seufzte laut. «Ich weiß überhaupt nicht, worum es geht, Plant.»
Was nichts Ungewöhnliches war. Es beflügelte Melrose jedoch, noch weiter in die Untiefen dieser seichten Unterhaltung einzudringen: «Die Rede ist von Amateurkrämern, Amateurwirten, Amateurpolitikern, Amateurmetzgern –»
Lady Ardry setzte sich ein wenig zu abrupt auf und verzog vor Schmerz das Gesicht. Melrose sollte seine Witze über die Premierministerin reißen, aber über den Lieferanten ihres täglichen Koteletts, das ging zu weit: «Amateurmetzger! Also, auf Mr. Greeley lasse ich nichts kommen – nach dem herrlichen Braten von gestern abend!»
«Ich sage ja gar nichts gegen Mr. Greeleys Braten. Aber meines Wissens hantiert er mit Beilen und Hackmessern und Sägen herum wie ein Wilder.»
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