Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
erwartet man Sie zu Hause, und jetzt möchten Sie die Gräfin anrufen?»
    «Nein. Es gibt keine Gräfin. Ich bin nicht verheiratet.»
    Sie strahlte. Während sie die Freitreppe hochgingen, erzählte sie ihm von ihrem Onkel und Mrs. Mulchop und Victoria Gray und von ihrer neuen Gouvernante, Miss Millar.
    Und malte deren Bild in den prächtigsten Farben. Sie war schön, gütig, nett …
    Melrose merkte, daß Henry nicht mitkam.
    «Ach der!» sagte Jessie. «Der schläft gern in Autos; ist wohl wieder reingeklettert. Machen Sie sich keine Sorgen um Henry.» Und dann setzte sie ihrem Porträt von Miss Millar den letzten Farbtupfer auf, indem sie sagte: «Ehrlich, sie ist fast eine Heilige.»
     
     
    «W UNDERBAR », SAGTE R OBERT A SHCROFT mit dem Kopf unter der Motorhaube. «Einfach toll. Sehen Sie bloß!»
    Und er redete und redete, während Melrose von einem Fuß auf den anderen trat und sich bei diesem Unterricht zu Tode langweilte. Er war nun mal kein Automechaniker.
    «Es ist nur der Treibriemen. Keine Ahnung, wie Sie den verlieren konnten. Aber London schickt uns sicher einen.»
    Jessie strahlte Melrose an.
    «Bitte», sagte Ashcroft, «seien Sie solange mein Gast.»
    «Oh. Ich möchte Ihre Freundlichkeit aber nicht überstrapazieren!»
    Niemandem schien aufzufallen, daß Plant ein paar Schritte vorauslief, als sie zum Haus gingen.
     
     
    W ARUM J ESSICA A SHCROFT SO von Sara Millar geschwärmt hatte, das konnte Melrose nicht nachvollziehen.
    Ihre Umgangsformen waren durchschnittlich, sie konnte sich einigermaßen gepflegt unterhalten und war fast hübsch zu nennen. Aber von allem fehlte ihr ein bißchen, um vollkommen zu sein. Sie wirkte wie ein schnell zusammengestellter, gemischter Blumenstrauß für jede Gelegenheit. Melrose fand sie etwas zu weich für die hartgesottene Lady Jessica, obwohl er zwischendurch meinte, unter Miss Millars Samthandschuh so etwas wie eine eiserne Hand zu spüren. Allerdings hatte er so seine Zweifel, ob Jessica sich jemals etwas befehlen lassen würde.
    Höchstens von ihrem Onkel, den sie abgöttisch liebte. Und das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen: Robert Ashcroft sah schließlich bei seiner Nichte in einen goldenen Topf.
    Wer neben vier Millionen Pfund sitzt, dem fällt es gewiß nicht schwer, ihnen gelegentlich liebevoll den Kopf zu streicheln. Melrose empfand sich selber als zynisch. Aber egal, dazu hatte man ihn hergeschickt – wenn nicht um zynisch, so doch um objektiv zu sein. Jury verdächtigte nämlich Ashcroft höchstpersönlich. Schade, daß der Mann so liebenswert war. Er gab sich natürlich und gastfreundlich und war nicht sonderlich beeindruckt durch Melroses Titel. Jury hatte ihn angewiesen, gleich mit dem ganzen Batzen aufzuwarten. Agatha entging ein seltener Genuß: Earl of Caverness, Viscount of Nitherwold, Ross und Cromarty, Baron Mountardy – der ganze Klimbim wurde ausgebreitet.
    Im Salon, bei einer Cocktailstunde, beschnupperte man sich ein bißchen. Zu Victoria paßte es überhaupt nicht, daß sie nur Hausdame und Sekretärin war. Es war nicht zu übersehen, daß sie aus weitaus besserer Familie kam als Sara Millar. Und sie sah auch besser aus als Sara, wenn auch eine Spur hexenhaft. Sie trug Schwarz, eine langärmelige Jacke aus paillettenbesetztem Stoff, ihr schwarzes Haar war nach innen gerollt – vielleicht hatte Melrose deshalb diesen Eindruck. Aber sein Kopf arbeitete wohl nicht mehr richtig, kein Wunder nach der Fahrt, der vorgetäuschten Panne und Dartmoor. Schon als sie vorhin ins Haus gegangen waren, hatte Bodennebel ihre Füße umwabert, und dabei war es noch nicht mal Nachmittag, mittlerweile waren die Bäume ganz in Nebel gehüllt.
    «Victoria, dein Kleid gefällt mir», sagte Jessica, die sich ebenfalls herausgeputzt hatte und ein blaues Kleid trug.
    Victoria Gray sah Jessica an und verzog mißtrauisch die Stirn, denn Komplimente von Jessica waren wirklich eine Seltenheit. «Wirklich? Danke.»
    «Es ist schön. Ganz glitzerig. Du siehst darin viel, viel jünger aus.»
    Robert Ashcroft lachte und versuchte so, die peinliche Situation zu überspielen. Vermutlich genau die richtige Taktik, mit Jessies Unverschämtheit umzugehen. Alles andere hätte es nur schlimmer gemacht. Aber Victoria zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    «Darum habe ich es ja auch angezogen», sagte sie. «Macht mich mindestens hundert Jahre jünger. Aber du, Jessica! Dich habe ich seit einer Ewigkeit nur in Mechanikerklamotten gesehen. Und Henry! Sehe ich da eine

Weitere Kostenlose Bücher