Inspektor Jury lichtet den Nebel
dort hinten, in dem Haus da –?»
«Machen Sie mal die Haube auf!»
A LS ER SIE AUF DER M AUER sitzen sah, dachte Melrose Plant, verflixt, so ein Pech! Wenn ihm jetzt etwas nicht in die Quere kommen durfte, dann dieses Kind. Er wußte über sie Bescheid. Über jedes Mitglied des Haushalts wußte er Bescheid, da Jury ihm die Einzelheiten telefonisch durchgesagt hatte. Er war nur nicht darauf gefaßt gewesen, daß sie ihm im schmutzigen Overall mit dem Schraubenschlüssel in der Hand über den Weg laufen würde.
Und dabei hatte er sich alles so gut ausgedacht gehabt, hatte gerade bis in die Einfahrt kommen wollen, aber da mußte ihm Jessica Ashcroft einen Strich durch die Rechnung machen. Nach seinem Plan hätte der Rolls genau in der Einfahrt den Geist aufgegeben, er wäre zum Haus gegangen und hätte Robert Ashcroft um Hilfe gebeten. Das war der Plan.
Und da stand nun diese Zehnjährige mit dem schwarzen Haar und dem Pony und den großen braunen Augen, schwenkte einen Schraubenschlüssel und hatte so was Drohendes in der Stimme. Sie stand so unerschütterlich da wie eine Wand und schien nicht im entferntesten daran zu denken, zum Haus zu laufen, um Hilfe zu holen. Er mußte sie bei Laune halten.
Also Haube hoch. Die beiden spähten hinein. Jessica hämmerte ein wenig mit dem Schraubenschlüssel herum, und eine Sekunde lang fürchtete Melrose, auf ein mechanisches Wunderkind gestoßen zu sein, ein Werkstatt-As, das ihm das verflixte Auto reparieren würde. Aber das war ja wohl nicht möglich, es sei denn, sie könnte einen Rolls-Treibriemen (denn den hatte er vor einer knappen halben Meile entfernt) aus dem Ärmel schütteln.
«So hör doch bitte mit dem Herumgehämmere auf. Der alte Rolls verträgt keine Prügel mehr.»
Sie zog den Kopf unter der Haube hervor und stieß einen tiefen Seufzer aus. «Wahrscheinlich der Vergaser. Ich kann bloß nicht verstehen, warum – ungewöhnlich bei einem Rolls-Royce.»
«Was ist schon vollkommen!»
Sie machte runde Augen. «Ihr Schlitten, zum Beispiel!»
«Was meinst du, ob die Eigentümer des Hauses mir gestatten würden, das Auto in die Einfahrt hineinzubugsieren und zu telefonieren? Ich glaube, ich bekomme es noch kurz in Gang.»
«Aber klar doch», sagte Jess lächelnd. «Das ist nämlich unser Haus. Und mein Onkel kennt sich mit Autos bestens aus. Er hat neun Stück, allerdings keinen Rolls-Royce.»
«Neun! Hat der Mensch Worte!»
«Ich schon», sagte sie und blinzelte zu ihm hoch, als wäre er ein wenig bescheuert. Aber sie wechselte erneut die Tonart, nachdem sie hinter die Mauer gelaufen und mit einem ganz eigenartigen Tier zurückgekommen war – einem Hund vermutlich, doch dafür hätte er nicht die Hand ins Feuer gelegt. «Stört es Sie, wenn Henry neben mir sitzt? Nichts schmutzig machen, Henry, ja?» befahl sie diesem merkwürdigen Haufen aus Fellfalten mit liebevoller Stimme. Der hockte auf dem Sitz wie ein Kartoffelsack.
Sie stieg ein, Melrose ebenfalls. «Das ist ja ein ganz unglaublicher Hund. Ist es etwa ein Shar-pei?»
«Ach, es ist nur ein Streuner. Vielleicht ein Chinese.» Sie sah Melrose flüchtig an. «Er hat grüne Augen.»
Der Motor hustete, und Melrose sagte: «Ich kann seine Augen nicht sehen.»
Sie seufzte. «Niemand kann das.»
Melrose schaffte die halbe Auffahrt mit dem Silver Ghost, aber dann blieb der Wagen endgültig stehen.
«Keine Bange», sagte Jessica. «Mein Onkel kriegt ihn wieder hin. Es sei denn, er muß Ersatzteile aus Exeter besorgen. Komm, Henry!» Der Hund hopste aus dem Auto. «Das kann dann schon ein paar Tage dauern.» Bei dieser Aussicht mußte sie unwillkürlich lächeln.
Ein prächtiges Haus, mit Steinen aus Portland im Stil Palladios erbaut. Und jede Menge leere Zimmer. «Ich möchte deinem Onkel aber auf keinen Fall Umstände machen.»
«Tun Sie bestimmt nicht! Ehrenwort! Ich heiße Jessie Ashcroft. Wie heißen Sie?» Und dabei hüpfte sie auf und ab wie jede normale Zehnjährige, fröhlich und unbekümmert.
«Ich heiße Plant. Das ist aber nur der Familienname.» Diese Art Auftritt war Melrose ganz und gar zuwider.
Sie blieb wie angewurzelt stehen. «Soll das heißen, Sie haben einen Adelstitel?»
Wenn sich einer mit Titeln auskannte, dann Jessica Ashcroft, schließlich war ihr Vater auch von Adel gewesen.
«Hm, ja. Ja, um ehrlich zu sein, ich bin Earl of Caverness.»
Sie machte große Augen. «Mein Vater war auch ein Graf.» Doch dann schaute sie etwas mißtrauisch. «Wahrscheinlich
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