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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ihnen, daß ein Sturm im Anzug war.
    Und Gott sei Dank gehörte sie nicht zu der wehleidigen Sorte. Es war nur Melroses vorsichtigen Fragen zu verdanken, daß Sara ihm überhaupt ihre Lebensgeschichte erzählte, die Geschichte eines Lebens, das sie als ruhig, vielleicht ein bißchen langweilig schilderte. Für Melrose jedoch hörte es sich an wie eine Dickenssche Geschichte von Verlust und Kummer. Da war das Internat, in das eine Tante sie gesteckt hatte, in deren Obhut man sie nach dem Tod ihrer Mutter gegeben hatte. Es wurde von einer Person namens Mrs. Strange geleitet.
    «Feuerrotes Haar hatte sie, und wenn sie es gewaschen hatte, stand es nach allen Seiten ab. Eigentlich müßte ich ihr dankbar sein. Sie war nämlich faul, und ich war die Älteste, konnte mich nicht wehren und mußte mich viel um die anderen kümmern. Ich habe mir mein Wissen selbst angeeignet, mußte viel lesen, denn sie ließ mich ja nicht zum Unterricht. Weil ich für die anderen sorgen mußte.»
    «Mein Gott, warum sollten Sie da noch dankbar sein? Bei Ihrer Intelligenz hätten Sie mehr lernen können, als auf die Kinder anderer Leute aufzupassen.»
    «Nett, daß Sie das sagen. Ich hatte nur ein einziges gutes Arbeitszeugnis. Da es aber von einer Gräfin stammte, war Mr. Ashcroft anscheinend gebührend beeindruckt. Ich mag Kinder.»
    «Ich mag Enten. Das heißt noch lange nicht, daß sie mir den lieben, langen Tag zwischen den Füßen herumlaufen dürfen.»
    Sara lachte. «Da besteht bei Jessica keine Gefahr; die läuft mir schon nicht zwischen den Füßen herum, eher gräbt sie mir Fallgruben. Sie mag mich nicht besonders.»
    «Ganz im Gegenteil», sagte Melrose und fuhr langsamer, denn er wollte im Nebel nicht den Wegweiser übersehen, «als wir ins Haus gingen, hat sie Sie in den höchsten Tönen gelobt.»
    «Was an sich schon verdächtig ist, denn ich war ja erst einen Tag im Haus. Wie lange ich die Stelle wohl behalten werde? Mr. Ashcroft hat gesagt, daß seine Nichte Erzieherinnen geradezu verschleißt. Drei sind zu einem Vorstellungsgespräch in London bestellt worden. Den anderen hat er vermutlich schon schriftlich abgesagt. Angesichts des Gehalts, das er bietet, dürfte er dem Ansturm kaum gewachsen gewesen sein. Für so eine Stelle tut man ja wirklich alles.» Sie verstummte kurz und sagte dann: «Eigentlich ziemlich komisch …»
    «Komisch? Was meinen Sie?»
    «Das Vorstellungsgespräch. Ich hatte eher den Eindruck, ich spräche für eine Rolle vor, ohne den genauen Text zu kennen.» Sie schien sich in ihrer neuen Stellung unwohl zu fühlen.
    «Auf mich wirkt Ashcroft freundlich und locker. Unwahrscheinlich, daß er sich nach einem Text gerichtet haben sollte.»
    «Freundlich? Ja, sicherlich. Und für Jessica tut er ja wirklich alles. Aber warum hat er die Vorstellungsgespräche in London und nicht in Ashcroft geführt?»
    «Vielleicht weil Lady Jessica bisher keine so glückliche Hand bei der Auswahl hatte.» Er fuhr wieder langsamer und suchte nach dem nächsten Wegweiser. «Wann war denn dieses Vorstellungsgespräch? Hört sich für mich irgendwie nach Henry James an!» sagte er. «Oh, hier müssen wir abbiegen.»
    «Was hat Henry James damit zu tun?»
    « Die Drehung der Schraube. Die Gouvernante fährt nach London und trifft dort einen gutaussehenden künftigen –» Weiter ging Melrose nicht. Wahrscheinlich brachte er sie damit in Verlegenheit.
    «Wann das Vorstellungsgespräch war? Vor ein paar Tagen. Am Dreizehnten. Warum?»
    «Nur so. Lichtet sich dieser Nebel denn nie?»
    Melrose bog in eine scharfe Kurve ein, und sie sagte: «War das nicht der Wegweiser nach Wynchcoombe? Und wurde da nicht der Junge ermordet?»
    «Wollen Sie nicht dorthin?»
    «Ehrlich gesagt, nein.» Sie fröstelte.
    «Ach, kommen Sie. Seien Sie kein Frosch. Tun wir so, als wären wir blutrünstige Schaulustige, ja?»
    Sara lachte. «Treiben Sie sich gern an Schauplätzen von Verbrechen herum?»
    «Selbstverständlich.»
     
     
    D IE S AKRISTEI DER K IRCHE von Wynchcoombe war immer noch abgesperrt. Auf dem Kirchweg hatte sich ein Wachtmeister so stramm und entschlossen aufgebaut wie ein Wachsoldat vor dem Buckingham-Palast. Der Rest der Kirche jedoch stand Kirchgängern und Touristen offen.
    «Ich weiß nicht recht», sagte Sara, «ich möchte doch lieber draußen bleiben.»
    «Abergläubisch?»
    «Nein, ich habe Angst», sagte sie schlicht.
     
    Melrose hätte seinen Silver Ghost als Brandopfer dargebracht, wenn er dafür einen einzigen Blick in die

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