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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sakristei hätte werfen dürfen, doch ein weiterer Polizist machte klar, daß da wohl nichts zu machen war. Der Wachtmeister amüsierte sich mit dem Playboy , den er hin und her drehte, um in den vollen Genuß des Mittelfotos zu kommen.
    Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte Melrose. Dieser Polizist sah etwas menschlicher aus als der Beamte vor der Tür.
    Und während Sara das Mittelschiff entlangschlenderte, ging Melrose zur Sakristeitür und überreichte dem Wachtmeister seine Visitenkarte. «Es besteht wohl keine Möglichkeit, hineinzukommen?»
    «Genausogut könnten Sie in den Buckingham-Palast wollen», sagte der Wachtmeister und freute sich, daß einmal im Leben Polizist vor Peer ging.
    Melrose ging zu Sara Millar zurück, die ein kleines Bild betrachtete, das die Opferung Isaaks darstellte.
    «Der Gott des Alten Testaments ist nicht gerade sanft mit ihnen umgesprungen, was?» sagte Melrose. «Hiob, Abraham, Stimmen aus dem Wirbelwind.» Er sah, wie sie nach dem Silberkreuz griff, das sie nie abzulegen schien. Das durch bunte Kirchenfenster gefilterte Licht legte sich wie ein vielfarbiges Netz auf ihren hellrosa Pullover und ihre noch hellere Haut. Sie wirkte zart, fast überirdisch und unschuldig in ihrer unverbrauchten Jugend. Sie war so in das Bild versunken, daß er meinte, sie habe ihn nicht gehört. Aber sie antwortete: «Es ist einfach nicht zu glauben. Ich meine, es übersteigt das, was man herkömmlicherweise glaubt. Aber das besagt wohl nichts.»
    Melrose staunte ein wenig über ihre Auslegung. Da wurde schließlich ein Vater aufgefordert, seinen unschuldigen Sohn umzubringen. «‹Besagt nichts›? Für Isaak wäre Ihre Antwort sicherlich ein schwacher Trost gewesen.» Er schaute sie mit einem gezwungenen Lächeln an. Vorhin hatte sie wütend ausgesehen, jetzt sah sie traurig aus. Diese Frau und das Wetter in Dartmoor hatten viel gemeinsam, dachte er. Ziemlich wechselhaft. Aber irgendwie interessant.
    «Ich meine doch nur», sagte sie, «daß das, was Gott mit Abraham vorhatte, weit über menschliches Verstehen hinausgeht.»
    Als sie zur anderen Wand hinübergingen, sagte Melrose: «Wozu dann das Ganze? Was soll eine Lektion in Ethik, wenn sie weit über menschliches Verstehen hinausgeht?» In einer Vitrine las sie gerade über einen Besuch, mit dem der Teufel die Kirche beehrt hatte. «Hier scheint jemand, der ihm seine Seele verschrieben hatte, in der Kirche eingeschlafen zu sein, und Satanas hat einfach das Dach abgedeckt und ihn sich geschnappt.» Sara schüttelte den Kopf. Melrose fragte sich, ob der Pastor noch auftauchen würde oder ob heute Wochentag und somit Pastorensonntag war. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Elf. Jetzt machten die Pubs auf. Er mußte vom Thema ablenken, sonst würde sie sich noch den ganzen Tag in religiösen Ausführungen ergehen. «Wie schon Houseman sagt, hat Gott für das, was er den Menschen antut, nur eine Rechtfertigung, nämlich das Malz.»
    Ein verhaltenes Lächeln. «Sie haben wohl das ‹George› gesehen.»
    Sara hatte trotz ihrer transzendentalen Ader eine rasche Auffassungsgabe und war keine Spielverderberin. Er drehte sich um, als er hörte, wie sich die schwere Kirchentür öffnete und wieder schloß. Ob der ältere Mann, der das Mittelschiff entlangging wie ein Hauseigentümer, Pastor White war? Mit ziemlicher Sicherheit, denn der Mann scherte sich nicht um die Polizei, also war er bestimmt keiner von den Pilgern. Daß der Beamte der Polizei von Devon und Cornwall seine Zeitschrift so schnell unter seinem Sitzkissen verschwinden ließ, war der Beweis.
    Melrose sagte: «Bin gleich zurück», folgte dem weißhaarigen Mann und überlegte sich, unter welchem Vorwand er ihn ansprechen könnte.
     
    «Es tut mir furchtbar leid, daß ich Sie in dieser für Sie so schmerzlichen Zeit belästigen muß.» Melrose schämte sich für diesen gräßlichen Gemeinplatz. «Sie sind doch Mr. White?»
    Der Pastor bejahte. Er war erstaunlich gefaßt. Der Verlust machte ihm weniger zu schaffen als Abraham, dabei führte Abraham doch nur einen Befehl aus. Seine Augen blickten steinern und kalt.
    «Sie wünschen?»
    Melrose zog eine Karte aus einem Goldetui, das (ehe Agatha es sich aneignete) seiner Mutter gehört hatte; die Visitenkarten gehörten seinem Vater, dem siebten Earl of Caverness, aber Melrose, der achte seines Namens, der selbigen abgelegt hatte, fand, Graf war gleich Graf.
    Der Pastor warf einen Blick darauf und reichte sie zurück. Wenn einem die eigene

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