Inspektor Jury lichtet den Nebel
von Argwohn gesucht und sie offenbar gefunden.
Er versuchte, die Bemerkung mit einem Lächeln abzutun. «Sie meinen wohl, daß Sie Gedanken lesen können.»
Sie stützte den Kopf in die Hand und erwiderte sein Lächeln. Nun sah sie beinahe wieder so aus wie vorhin, als er ankam. «Gedanken nicht unbedingt, aber Gesichter.»
Daß sie seins besonders nett fand, war so offensichtlich, daß er den Blick abwenden mußte und den Schemel anstarrte, auf dem in seiner Einbildung der Hausgeist saß und in der Asche stocherte. Aber dies war die Gelegenheit, um endlich zu seinem Anliegen zu kommen. «Mit Gesichtern dürften Sie sich gut auskennen, als Fotografin.» Er sah sie wieder an. «Und Sie als Fotografin möchten wir um einen Gefallen bitten.»
Sie hob mit einer ruckartigen Bewegung den Kopf und erstarrte. Noch bevor er seine Bitte geäußert hatte, hatte sie alle Stacheln aufgestellt. «Mich? Und um was für einen Gefallen?»
«Es gibt in Dartmoor einen Ort, der von Princetown, Wynchcoombe und Clerihew Marsh ungefähr gleich weit entfernt ist, Ashcroft, ein ziemlich großes Herrenhaus –» Sie verzog keine Miene.
«Bitte, reden Sie ruhig weiter.» Ihm war, als ob die Spannung, die das Wort «Gefallen» (und damit die Aufforderung zum Handeln) ausgelöst hatte, sie vom Sofa zog. Sie hatte sich vorgebeugt und faltete die Hände so fest, daß die Gelenke weiß hervorstanden.
Jury sagte schlicht: «Wir brauchen eine Fotografin –»
«Nein.» Sie schüttelte den Kopf, langsam und mit geschlossenen Augen. «Nein.»
«Sie können immer noch nein sagen, aber jetzt lassen Sie mich erst einmal erklären. In Ashcroft lebt ein zehnjähriges Mädchen, die Alleinerbin der Ashcroft-Millionen. Ihr Vater war ein Peer. Molly, drei Kinder sind schon umgebracht worden! Wir wollen keinen vierten Mord.»
Molly blickte auf, sie sah erstaunt aus. «Was auch immer Sie von mir wollen – wieso ausgerechnet ich? Schließlich bin ich doch Ihre Hauptverdächtige.»
«Sie sind eine von mehreren Verdächtigen, und ich persönlich habe sowieso meine Zweifel, daß Sie mit diesen Morden etwas zu tun haben.» Er war nicht sicher, aber sein Zweifel war stark.
Sie war erstaunt, einen Moment sah es so aus, als ob sie Hoffnung schöpfte, sie lächelte fast. «Sie sind überstimmt.»
«Macalvie?» Jury lächelte. «Dann steht es unentschieden. Ich bin nicht überstimmt.»
«Wenn Superintendent Macalvie die andere Stimme hat, sind Sie es, das können Sie mir glauben. Aber erzählen Sie weiter. Ich sag am Ende einfach nein. Also, los.»
«Wie dem auch sei, wir brauchen Fotos – von allem und jedem. Wir organisieren Ihnen einen Presseausweis. Es gibt ein teures, aufwendiges Oldtimer-Magazin. Für diese Zeitschrift arbeiten Sie als Top-Fotografin. Sie wissen, wie sich ein Profi benimmt, schließlich sind Sie einer!» Er lächelte. «Ein Kinderspiel für Sie.»
«Ein böses Spiel. Das können Sie doch nicht von mir verlangen!» schrie sie. «Richard!»
Sie neigte sich zu ihm. Aus ihrem Mund klang sein Name auf eigenartige Weise fremd. «Molly.» Er lächelte.
Sie wich seinem Blick aus, und um irgend etwas zu tun, versuchte sie, die schwarze Katze zu streicheln, die es sich neben ihr gemütlich gemacht hatte. Die drehte sich nur um und starrte Molly giftig an. «Hören Sie, ich verlasse niemals das Haus. Und Sie glauben, ich würde den Mut aufbringen, meine Leica zu schnappen und im Herrenhaus eines Millionärs Theater zu spielen? Mein Gott, da unterhalte ich mich ja lieber mit Chief Superintendent Macalvie! Will er eigentlich auch, daß ich diese Fotos mache?»
Jury nickte und bot ihr eine Zigarette an, die sie gerne annahm: «Danke, guter Vorwand für einen Drink. Möchten Sie auch einen?»
«Warum eigentlich nicht!»
Sie schenkte Whisky in zwei verschiedene Wassergläser, lehnte sich zurück und prostete ihm zu. «Auf Ihre Schnapsidee! Also, eins verstehe ich nicht: In den Dunkelkammern der Polizei von Dorset und Devon – und von Scotland Yard – müßte es doch eigentlich von Fotografinnen nur so wimmeln. Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?»
«Weil Sie keinen Verdacht erregen würden, Molly.»
«Ein schlauer Polyp auch nicht – man wird euch ja wohl nicht umsonst beigebracht haben, wie man andere Leute dazu bringt, einem alles anzuvertrauen.»
«Einen Polypen würden die Bewohner von Ashcroft zehn Meilen gegen den Wind wittern. Einer der Bewohner auf jeden Fall.»
Nun war ihre Neugier doch geweckt. «Und welcher?»
«Das sage
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