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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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du, daß das Leben nur schön sein kann, wenn man verheiratet ist?» Molly lächelte.
    «Was? O nein! Ich finde Heiraten sogar ziemlich blöd. Bloß meine Mutter und mein Vater – bei denen war es okay.»
    Molly schraubte die Kamera auf dem Stativ fest. «Du sprichst wie Hamlet. Kennst du die Stelle? Ich sage, wir wollen nichts mehr vom Heiraten wissen. Geh in ein Kloster. »
    «Ich weiß.» Die Irre Irene hatte eine gräßlich fette Ophelia abgegeben.
    «Im Ernst? Dann mußt du auf eine sehr gute Schule gehen, wenn du schon Shakespeare kennst.»
    «Ich gehe auf gar keine Schule. Hier in der Gegend gibt es keine. Ich habe Erzieherinnen. Aber keine von ihnen bleibt besonders lange. Was ist das denn, ein Krückstock?»
    Molly lachte. «So alt bin ich nun auch wieder nicht. Das ist ein Stativ. Das braucht man, damit die Fotos nicht verwackeln.» Sie war froh, über ihre Arbeit reden zu können, denn an diesem unbekannten Ort fühlte sie sich höchst unwohl und befürchtete, daß sie ein Panikanfall überkommen könnte.
    «Und was ist das?» fragte Jessie.
    «Ein Belichtungsmesser. Dann brauche ich nicht die ganze Kamera abzubauen, wenn ich die Beleuchtung messen oder eine Nahaufnahme machen möchte.»
    «Hört sich kompliziert an. Hört sich an, als ob Sie lange brauchen. Ich habe auch eine Kamera. Da brauche ich bloß auf einen Knopf zu drücken.»
    «Möchtest du ein paar Fotos machen?»
    «Nein, nein», sagte Jessie hastig. «Ich würde Ihnen nur Ihre kostbare Zeit stehlen.»
    Molly spürte, daß ihr die Schweißtropfen schon auf der Stirn standen. Sie wischte sie mit der Hand fort, in der sie den Belichtungsmesser hielt. Vielleicht hat sie recht. So schieß schon die blöden Fotos, und dann nichts wie weg , redete sie sich in Gedanken gut zu. Sollen sie sehen, wie sie ihre Fahndungsfotos kriegen. Sie erstarrte, als sie hörte, wie sich auf dem Rücksitz des Ferrari etwas bewegte. «Was ist das?»
    «Keine Angst, das ist bloß Henry. Er schläft gern im Auto. Sie sehen ein bißchen blaß aus. Aber Henry beißt nicht, ehrlich. Er hat noch nie jemanden gebissen. Er ist so alt, daß er nicht mal mehr einen Knochen zwischen den Zähnen halten kann.»
    «So einen Hund habe ich noch nie im Leben gesehen.» Molly lachte, und der Druck in ihrem Kopf ließ ein wenig nach.
    «Ist uns zugelaufen.» Jessie würde nie zugeben, daß blaues Blut in Henrys Adern floß. «Er sieht ulkig aus, was?» Jessie holte Henry aus dem Ferrari.
    Molly blickte zu den Wolken hoch, die über den hellen, weiten Himmel segelten. Ihr war übel, und das war immer das erste Symptom ihrer Panikanfälle. Mit einem Papiertaschentuch wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht.
    «Bald haben Sie nicht mehr genug Licht. Sie sollten lieber gehen und ein andermal wiederkommen. Sie sehen wirklich ziemlich blaß aus. Ist Ihnen wirklich nicht schlecht?»
     
    Molly mußte lächeln. Das kleine Mädchen wollte sie unbedingt loswerden, aber warum bloß? Doch das Lächeln verging ihr schnell wieder. Sie wandte sich wieder der Kamera zu, um nicht die Fassung zu verlieren. Das Stativ hatte sie weit genug entfernt aufgestellt, um alle zehn Autos auf einmal sehen zu können, jedes eingepfercht in seiner Box – wie Rennpferde vor dem Start. So verrückt es auch war, plötzlich war ihr, als gingen die Scheinwerfer aller Autos an und kämen auf sie zugerast. War sie in einen dieser Filme geraten, in denen Autos sich selbständig machten und zu Killern wurden? Sie sahen teuflisch aus.
    Und der offene Hof bot nicht den geringsten Schutz. Keine Mauern, keine Decken – nichts. Ein Gefühl, als ob gleich etwas Furchtbares passieren würde.
    «Sie sehen wirklich krank aus.»
    «Es geht – schon. Es ist gleich vorbei …» Molly legte den Kopf auf den Arm, der sich auf das Stativ stützte, mit der anderen hielt sie sich an Jessicas Schulter fest. Das kleine Mädchen legte seine Hand auf Mollys.
    Wenngleich sie sich in einer scheinbar endlosen Weite von Himmel und Erde befand, so fühlte sich Molly doch, als würde sie von allen Seiten bedrängt, als hätte man sie in einen dunklen Schrank eingesperrt und als würde sie gleich in einen tiefen Schacht fallen.
    Und dann hörte sie Stimmen. Menschen. Das letzte, wonach ihr der Sinn stand. Gleich würde sie in Ohnmacht fallen …
    Sie hob den Kopf. Zwei Männer und zwei Frauen kamen auf sie zu, einer der Männer lächelte. Sie starrte ins Leere und merkte plötzlich, wie das Stativ unter ihrem Gewicht nachgab. Und aus weiter Ferne

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