Inspektor Jury spielt Domino
stadtbekannt; als er in dem Lokal aufgetaucht war, hatten sich die Köpfe wie geölt in seine Richtung gedreht. Die Blicke fixierten ihn, und die Gespräche verstummten. Die Leute wandten sich aber schnell wieder ab und taten so, als existiere Jurys Tisch nicht. «Es würde mich nicht wundern, wenn eine ganze Jagdgesellschaft hier durchrasen und Halali oder ähnlichen Blödsinn rufen würde. Ich komme mir vor wie in Tom Jones .»
Schräg gegenüber von ihnen, bei der Küchentür, stritt Kitty sich offenbar mit Bertie Makepiece; er trug eine weiße Schürze und hatte ein Tablett unterm Arm. «Wer ist denn der Bengel?» fragte Jury.
«Bertie Makepiece.» Melrose blickte auf die Tür zwischen dem Lokal und dem Speiseraum. «Und das ist Arnold, falls Sie ihm noch nicht begegnet sind.» Arnold hatte sich quer über die Schwelle gelegt.
Kitty kam an ihren Tisch. «Entschuldigen Sie, Mr. Jury.» Sie strich sich die braunen Locken aus der hohen Stirn und war ganz rot im Gesicht. «Bertie stellt sich mal wieder an. Ich laß den Jungen hier nur arbeiten, wenn ich Gäste zum Abendessen habe. Ich weiß , er ist erst zwölf und sollte nicht in einem öffentlichen Lokal arbeiten, aber ich stell ihn auch nie hinter die Bar oder laß ihn alkoholische Getränke servieren – abgesehen vielleicht von einer Flasche Wein ab und zu. Die Sache ist – seine Mutter hat sich abgesetzt, und er kann das Geld wirklich gebrauchen. Er wollte partout Ihren Tisch haben, aber ich dachte mir, die Polizei –»
Jury unterbrach sie. «Die Jugendarbeitsschutzgesetze sind hiermit wieder aufgehoben.» Er lächelte.
Melrose beobachtete, wie Kitty Meechem sich an der Lehne eines Stuhls festhielt, wahrscheinlich, um bei seinem Lächeln nicht völlig dahinzuschmelzen.
«Kalbsschnitzel und Nierenpastete, bitte», sagte Jury zu Bertie. Sie waren die einzigen Gäste in dem kleinen Speiseraum mit dem flackernden Kaminfeuer und dem schimmernden Kupfer- und Zinngeschirr an den Wänden.
Melrose entschied sich für den Grillteller. «Und eine Flasche von eurem besten Wein, Copperfield. Eine Weinkarte gibt’s wohl nicht? Ich sehe, du trägst heute keinen Kellerschlüssel bei dir.»
«Nein, keine Weinkarte, Sir. Aber im Keller steht ’ne Menge völlig verstaubter Flaschen rum, die so aussehen, als müßten sie bald getrunken werden.» Weltmännisch fügte Bertie hinzu: «Sie sind natürlich noch völlig in Ordnung. Nur würden ihnen ein oder zwei weitere Jahre nicht gerade guttun.»
«Vielleicht entdeckst du eine Flasche vierundsechziger Côte de Nuit. Bring sie her, aber nicht schütteln bitte, nur ganz vorsichtig abstauben.»
«Für Sie saug ich sie mit dem Staubsauger ab, Sir.» Bertie zischte davon, das Tablett hochhaltend.
«Ist das der Bengel, dessen Mutter verschwunden ist? Wo steckt sie denn?»
«Keine Ahnung. In Belfast, sagt er.» Melrose breitete eine schneeweiße Serviette von Tischtuchgröße auf seinem Schoß aus. «Die Wäsche ist zumindest sauber. Noch mehr Jagdszenen – wußten Sie, daß der Gasthof zur Hälfte Sir Titus Crael gehört? Warum wohl, denken Sie, heißt er der ‹Alte Fuchs in der Falle›? Praktisch soll ihm das ganze Dorf gehören. Jemand hat mir erzählt, daß er es ‹Foxmoor› taufen wollte, aber das haben sie nicht zugelassen. Ein passionierter Jäger, der alte Herr.»
«Und wie war der Abschied von Lady Ardry, Mr. Plant?»
«Äußerst schwierig, das können Sie mir glauben. Sie hing mir bis zum Schluß am Rockschoß.»
Jury grinste. «Ich hab sie vermißt.»
«Da sind Sie der einzige. Sie ist in York. Ich erhalte täglich ihre Bulletins, in denen sie mir mitteilt, wie es ihr und dieser Teddy ergeht. Wenn sie wüßte, daß Sie hier sind, würde sie wie eine Lawine über die Moore von North York gerollt kommen.»
Bertie brachte den ersten Gang. «Das Hors d’œuvre, Sir.» Er knallte die beiden kleinen Teller auf den Tisch. «Tut mir leid, Sir, kein Räucherlachs», sagte er zu Melrose, und als hätten sie einen gemeinsamen Coup gelandet, fuhr er leise fort: «Aber Kitty hat in Whitby frischen Fisch gefunden und eine feine Sauce dazu gemacht.» Er flitzte wieder davon; an der Tür blieb er stehen und schimpfte mit Arnold, der immer noch unbeweglich auf der Schwelle lag und Melrose anstarrte.
Melrose stocherte mißtrauisch in der Sauce herum. «Wetten, daß es Scholle ist? Fragt sich nur, wie diese Sauce sich mit dem Rackmoor-Nebel verträgt. Kitty Meechem sollte mir das Rezept verraten. Ich könnte Agatha ein
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