Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd
davon).
Sie dirigierte Shandy schnell und lautlos an ein Stück Mauer, kletterte auf seinen Rücken, verschaffte sich einen sicheren Stand und kletterte dann die Mauer hoch. Sie nahm das Tuch, mit dem sie das Zaumzeug abrieb, und ließ es auf die Mauer fallen, wo es an dem wilden Wein hängenblieb. Gut. Das sah so aus, als hätte sie es verloren, als sie über die Mauer kletterte. Sie ging ein paar Meter an der Mauer entlang, griff nach dem untersten Ast eines Baumes und schwang sich daran hoch.
Sie brauchte nicht lange zu warten.
Plötzlich gerieten die Zweige und Farne in Bewegung, und der dünne Strahl der Taschenlampe suchte den Platz unter ihr ab und fuhr an den Bäumen hoch.
Der Strahl fiel auf Shandys Hinterbacken. Das andere Pferd blieb stehen, jemand sprang aus dem Sattel, stapfte über die nassen Blätter und blieb dann direkt unter ihr stehen.
Zum erstenmal in ihrem Leben hatte Emily Louise Perks Neugierde nicht gesiegt. Wie festgefroren klebte sie mit angehaltenem Atem an dem Baum, das Gesicht gegen die Rinde gepreßt.
Sie hätte hinunterschauen sollen in den paar Sekunden, in denen dieser schreckliche Mensch das Pferd und die Mauer inspizierte; sie wußte das, aber sie konnte es einfach nicht – sie war zu feige dazu.
Emily Louise hatte in ihrem Leben nur dreimal geweint: einmal, als ihr Vater wegging; einmal, als ihre Katze starb und einmal, als Katie O’Brien ins Krankenhaus mußte.
Das war das vierte Mal, und sie weinte, weil sie wußte, daß Jimmy Poole nicht so feige gewesen wäre.
Der Regen hatte aufgehört. Und das Dunkel, das sie umgab, wurde noch undurchdringlicher. Die Person war weg; sie hatte sich wieder auf ihr Pferd geschwungen (sie war überzeugt, daß es Jupiter war) und war weggeritten. Sie würde irgendwo anders nach ihr suchen.
Sie kletterte von dem Baum auf Shandys Rücken und hätte ihn gerne dafür belohnt, daß er so ruhig und geduldig gewartet hatte.
Emily ritt auf der Landstraße von Horndean bis zum Ende der Mauer. An diesem Punkt kreuzte sich die Straße mit einer andern, sehr viel schmaleren, die zu dem Dorf St. Lyons führte.
Shandy war müde; er schnaufte heftig und schüttelte die Mähne, als wolle er alles von sich abschütteln. Sie waren jetzt auf der Straße nach St. Lyons, und wenn sie nach rechts blickte, konnte sie jenseits der Hecken und Weiden die Lichter der Häuser an der Hauptstraße von Littlebourne erkennen. Der milchige, rosarote Schein kam aus Mary O’Briens Schlafzimmer, in dem immer Licht brannte. So aus der Ferne und mit all den Bäumen davor blinkten die Lichter wie Sterne. Einen halben Kilometer noch, und sie würde an der Stelle angelangt sein, wo das Sträßchen nach St. Lyons geradeaus weiterging und ein Feldweg mit tiefen Radspuren nach rechts abzweigte; er beschrieb einen Bogen und führte auf die Straße, die schließlich zur Hauptstraße von Littlebourne wurde.
Emily war so erschöpft, daß sie ihr Gesicht in Shandys Mähne vergrub und ihn einfach weitertrotten ließ. In der Ferne hörte sie ein Auto.
Es fuhr vorbei, ein dunkler, nächtlicher Schatten. Auf der Straße nach St. Lyons gab es nur ganz wenig Verkehr.
Sie war wie betäubt vor Angst, als sie bemerkte, daß es in einiger Entfernung hinter ihr anhielt und auf der schmalen Straße zu wenden versuchte, indem es halb in die Hecke zurückstieß.
Die Sache war ganz klar. Sie schlug einen leichten Trab an und ging dann in den Galopp über. Shandy war ziemlich schnell, wenn Emily auf ihm saß, aber kein Pferd aus den Ställen der Bodenheims war so schnell wie ein Auto.
Dabei mußte sie schneller sein, wenn sie die Nacht überleben wollte.
Der Wagen stand ein ganzes Stück hinter ihr, aber an den Scheinwerfern ließ sich erkennen, daß es ihm gelungen war zu wenden und daß er gleich auf sie losbrausen würde.
Die Gabelung der Straße lag direkt vor ihr. Wenn sie nach rechts abbog, wäre sie für ein paar Sekunden vor dem Wagen in Sicherheit. Sie ließ Shandy langsamer gehen, zog ihren Tweedmantel aus und steckte die Ärmel durch die Schlaufen des Zaumzeugs. Es war ein ziemlich plumpes Täuschungsmanöver, aber sie erinnerte sich, daß sie ihre Mutter hinters Licht geführt hatte, indem sie Kissen unter die Bettdecke stopfte, damit es so aussah, als läge sie im Bett, obwohl sie schon längst aus dem Fenster geklettert war, um irgendein mitternächtliches Abenteuer zu erleben. Jetzt tat es ihr richtig leid, daß sie in den letzten Jahren kaum auf ihre Mutter gehört
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