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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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schwerfällig.
    «Sie scheinen aber nicht allzu glücklich darüber zu sein.»
    Nein, das war er nicht, ganz und gar nicht. «Ich hab keinerlei Beweise, Wiggins. Nichts, rein gar nichts, und auch wenig Hoffnung, ihn zu schnappen, außer auf frischer Tat. Was höchstwahrscheinlich bedeutet, daß wir zugleich in den Besitz des Colliers gelangen.» Er zog den Plan aus der Tasche, faltete ihn in der Mitte und lehnte ihn gegen den Serviettenhalter. «Trevor Trees Kumpel, Komplize oder was auch immer muß wissen, wo dieses Collier ist. Und er wird jeden umlegen, der ihm in die Quere kommt. Ich hoffe nur, keiner tut das.»
    Als sie aufstanden, fegte Wiggins etwas von dem verschütteten Salz auf seinen Handteller und warf es sich über die Schulter. «Man kann nie wissen, Sir.»
     
    Sie waren ungefähr in der Mitte des langen, kühlen Korridors angelangt, als die unwirsche Krankenschwester mit knisternder Uniform auf sie zugestürzt kam, ihre Schreibunterlage an sich gepreßt. Jury wußte sofort, warum: Es war wegen der Musik.
    Während Jury nicht viel für Musik übrig hatte – obwohl nun auch er stehenblieb und lauschte –, war Wiggins ein Musiknarr.
    Die Musik war seine große Leidenschaft – eine der wenigen, die er hatte. «Mein Gott, das ist ja wunderbar …»
    Die Patienten schienen das auch zu finden. Sie standen in den Türrahmen, saßen in Rollstühlen, stützten sich auf ihre Stöcke. Cyril Macenery spielte auf der Geige – Katies Lieblingslied «Rosen aus der Picardie». Was Jury immer für einen sentimentalen alten Schlager gehalten hatte, klang nun wie Sphärenmusik.
    Die Krankenschwester schien auch weniger wütend als besorgt zu sein. «Wirklich, ich weiß nicht, was die Oberschwester dazu sagen wird.» Sie schüttelte den Kopf; ihr weißes Häubchen ging auf und ab. «Keine Ahnung, wie sie darauf reagiert. Er hat wohl einfach ihre Geige genommen und angefangen zu spielen …»
    Sie hätte natürlich einschreiten können, nur – sie hatte es nicht getan. Wahrscheinlich war sie von den wundervollen Klängen, die den sterilen, weißen Korridor erfüllten, genauso verzaubert wie alle andern. Jurys Vermutung, daß sich hinter dem gestärkten Äußeren noch etwas anderes verbarg, war also doch nicht so falsch gewesen. Er zückte seinen Kugelschreiber und kritzelte etwas auf seinen Block, dann riß er die Seite ab und gab sie ihr. «Ich weiß, das hier ist Ihr Revier. Aber vielleicht nützt es Ihnen, wenn Sie die Kriminalpolizei hinter sich haben. Sagen Sie Ihrer Oberschwester – falls sie vorbeikommt –, daß der zuständige Kommissar es für eine gute Idee hielt. Und daß niemand sich beschwert hat.»
    Jury blickte den Korridor entlang. Einige Frauen schienen den Text des Lieds mit den Lippen zu formen oder in Gedanken zu tanzen. Die Krankenschwester nahm Jurys Zettel entgegen. Entschuldigend meinte sie: «Ich muß ihm leider bald sagen, daß er aufhören soll.»
    «Ja, ich verstehe. Sergeant Wiggins wird dafür sorgen.»
    «Aber erst», sagte die Krankenschwester und blickte Jury mit Sternenaugen an, «wenn das Lied zu Ende ist.» Sie lächelte.
     
    Als Scotland Yard im Krankenhaus anrief, war Jury bereits ins East End gefahren.
    Ash Cripps, der in seinem verschossenen Morgenmantel und mit einer Zigarre im Mund – aus einer Kiste, die Jury in weiser Voraussicht mitgebracht hatte – im Wohnzimmer auf und ab ging, hielt in der einen Hand den Plan, den Jury ihm gegeben hatte, und in der andern eine Flasche White Shield. Wenn er einen Schluck daraus nahm, störte ihn der Bodensatz offenbar kaum. Er stellte die Flasche auf den Sims des vorgetäuschten Kamins, in dem bei kühlerem Wetter künstliche Kohlen glühten. Papier und ein Aluminiumaschenbecher voller Zigarrenstumpen fielen herunter. Er schob sie mit dem Fuß in die winzige Feuerstelle.
    Ein Teil der Crippsschen Nachkommenschaft saß in der Küche und aß Kartoffelbrei; ein anderer war auf der Straße und focht, bewaffnet mit Besenstielen und den Deckeln von Abfalleimern, eine erbitterte Schlacht aus.
    Ash ließ sich jedoch bei seiner Tätigkeit nicht stören. Er trug seinen Morgenmantel wie eine Staatsrobe; die Kordel schleifte auf dem Teppich mit dem Pfingstrosenmuster. Sie warteten auf die Rückkehr White Ellies, die in seinen Hosen zur Wäscherei gegangen war.
    «Hmm, stimmt, Trevor hätte sich so was ausdenken können.» Er kratzte sich am Kopf. «Es ergibt nur keinen Sinn.»
    «Ist das denn sonst anders? Ich dachte, das Spiel bestünde darin,

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