Instinkt
Journalisten des Guardian, zu treffen, sich der Aufnahme zu entledigen und ihre Nemesis endlich ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu zerren.
Sie hatte Tage gebraucht, um sich zu überlegen, was sie mit der Aufnahme von Anthony Gores Geständnis anstellen sollte. Einmal war sie drauf und dran gewesen, alles Mike Bolt zu übergeben, damit er sich damit herumschlagen konnte. Sie wusste, er würde niemals Beweismaterial unterdrücken, doch obwohl sie ihm völlig vertraute, hatte sie sich dagegen entschieden. Er hatte ihr bereits genug Gefallen getan und sich dafür selbst Schwierigkeiten eingehandelt. Es war besser, die Aufnahme einem erfahrenen investigativen Journalisten wie Penny zu übergeben, der darauf spezialisiert war, große Skandale an die Öffentlichkeit zu bringen. Zudem ließ sein Hintergrund erkennen, dass er das Establishment ablehnte.
Tina war klar, dass dies das Ende ihrer Karriere bedeutete, da sie nicht verhindern könnte, dass man die Aufnahme zu ihr zurückverfolgte, doch im Augenblick scherte sie das wenig.
Sie war sowieso bis auf weiteres suspendiert, wenn auch immerhin bei vollen Bezügen, und langsam fiel ihr die Decke auf den Kopf. Ihre Tage zogen sich ereignislos und dröge dahin und boten ihr mehr als eine Gelegenheit, zu viel zu trinken. Sobald sie Penny die Aufnahme ausgehändigt hätte, würde sie einen langen Urlaub antreten, irgendwo sehr weit weg, wo es heiß und exotisch war, und dem Alkohol ein für alle Mal abschwören.
Sie gähnte und griff nach der leeren Weinflasche. Sie überlegte kurz, eine zweite zu öffnen, sich einen letzten Absacker zu gönnen. Der Wein schmeckte zwar nicht besonders, eigentlich sogar schlecht, war aber gerade noch trinkbar. Doch als sie aufstand, um in die Küche zu gehen, schwankte sie, und einen Augenblick lang wurde ihr schwarz vor Augen – es war definitiv Zeit, ins Bett zu gehen.
Auf dem Weg zum Schlafzimmer merkte sie, dass sie den Fernseher nicht ausgeschaltet hatte.
Doch eben als sie sich umwandte, hörte sie, wie etwas deutlich klickend ins Schloss ihrer Wohnungstür geschoben und umgedreht wurde. Und noch während sie sich fragte, ob sie nicht unter Einbildungen litt, sah sie, dass sich die Tür langsam öffnete.
Einen Augenblick lang blieb sie vom Alkohol benebelt stehen, unschlüssig, was sie tun sollte. Doch Zentimeter für Zentimeter wurde die Tür weiter aufgestoßen, bis schließlich eine behandschuhte Hand sichtbar wurde, deren Anblick sie mit einem Schlag hellwach machte.
So schnell und so lautlos wie möglich schlich sie auf Strümpfen ins Schlafzimmer, wo noch Licht brannte, seit sie sich heute Abend umgezogen hatte. Hektisch blickte sie sich nach ihrem Handy um, konnte es aber nirgends entdecken. Sie wusste auch nicht mehr, wann und wo sie es abgelegt hatte, eventuell beim Hereinkommen im Wohnzimmer. Vage erinnerte sie sich, dass es vor einiger Zeit geläutet hatte. Aber da sie nicht gestört werden wollte, war sie nicht rangegangen.
Sie hörte, wie nun die Wohnzimmertür aufging und der Ton des Fernsehers lauter wurde. Jemand durchsuchte ihre Wohnung, suchte nach ihr. Selbst in ihrem angetrunkenen Zustand war ihr klar, dass das etwas mit der Aufnahme zu tun haben musste, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie Paul Wise das herausgefunden haben konnte.
Doch sie hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt galt es, am Leben zu bleiben.
Sie durchquerte das Schlafzimmer und öffnete den alten Kleiderschrank, der bereits dagestanden hatte, als sie die Wohnung bezogen hatte. Die Tür knarrte, und Tina musste ein Lachen unterdrücken, während sie hineinstieg und Kleider und Hosen beiseiteschob, denn sie erinnerte sich an die Versteckspiele auf den Geburtstagspartys ihrer Kindheit.
Sie schloss die Tür hinter sich, und fast gleichzeitig hörte sie die Schritte, die den Flur entlangkamen. Die Angst stieg wieder in ihr auf. Sie mühte sich verzweifelt, kein Geräusch zu machen, arrangierte einige Kleider und Mäntel vor sich und drückte sich möglichst tief in das Innere.
Die Schritte kamen eindeutig näher, und dann knackte eine Diele in ihrem Schlafzimmer.
Er war hier.
Sie hielt den Atem an, spürte, wie ihre Knie weich wurden, und versuchte, sich nicht gegen die Rückwand des Schrankes zu stützen.
Auf beiden Seiten der Schranktür herrschte Momente lang eine gespenstische Stille, Tina konnte den Eindringling nicht mehr hören. War er umgekehrt?
Dann rutschte sie aus und stieß mit vernehmlichem Klackern ein Paar
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