Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
Vom Netzwerk:
Schuhe um. Tina erstarrte, biss die Zähne zusammen und verfluchte sich für ihre Unachtsamkeit.
    Die Schranktür flog auf, und mit einer wütenden Bewegung wurden die Kleider beiseitegefegt.
    Vielleicht eine halbe Sekunde lang stand Tina Auge in Auge dem Mann gegenüber, der eine schlecht sitzende Skimaske und einen langen Regenmantel trug. In der Hand hielt er eine Pistole mit Schalldämpfer. Trotzdem sprang sie ihn mit einem verzweifelten Schrei an und versuchte, seine Handgelenke zu packen, um zu verhindern, dass er die Waffe benutzte.
    Doch der Wein hatte ihre Koordination beeinträchtigt, und ihr Widersacher brauchte nur einen Schritt zur Seite zu machen, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Während sie an ihm vorbeistolperte, versetzte er ihr einen Schlag auf den Hinterkopf, und sie konnte gerade noch eine Hand ausstrecken, um nicht gegen die Schlafzimmerwand zu knallen, ehe sie zu Boden stürzte.
    Als sie sich umdrehte, stand er bereits drohend über ihr. »Die Aufnahme! Wo ist sie? Sag es mir. Sofort.« Er zischte die Worte, wohl um seine Stimme zu verstellen. Trotzdem erkannte Tina den gebildeten Akzent, der ein Mitglied der Oberklasse vermuten ließ. Und noch etwas glaubte Tina herauszuhören. Einen Hauch Furcht, als ob der Mann sich bei dem, was er tat, nicht ganz wohlfühlte.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, versuchte sie, Zeit zu gewinnen und bemühte sich, klar und deutlich zu sprechen, damit der Eindringling nicht bemerkte, wie betrunken sie war.
    »Du weißt genau, wovon ich rede. Wir können das auf die einfache oder auf die schmerzhafte Art hinter uns bringen. Wenn du es mir sagst, bin ich gleich wieder weg. Wenn nicht, verpasse ich dir eine Kugel und nehme die Wohnung auseinander, bis ich sie finde. Und ich werde sie finden.«
    Tina sah zu ihm auf, versuchte herauszufinden, ob er sie wirklich am Leben ließe, falls sie ihm die Aufzeichnung gab. Sie wollte sie ihm unter keinen Umständen überlassen, denn damit machte sie ihre letzte Chance zunichte, Paul Wise zur Rechenschaft zu ziehen. Aber sterben wollte sie auch nicht.
    Er hielt die Waffe ruhig auf sie gerichtet.
    »Deine letzte Chance.«
    Sie schluckte, doch etwas hielt sie davon ab, ihm das Versteck zu verraten, obwohl sie damit ein gewaltiges Risiko einging.
    »Sag es mir, verdammt!«, schrie er sie an, doch sie glaubte, das erste Flackern des Zweifels in seinen Augen zu erkennen.
    Da griff er nach einem auf dem Bett liegenden Kissen, faltete es in der Mitte und schob den Schalldämpfer dazwischen, wobei er die ganze Zeit die Waffe auf sie gerichtet hielt. Wenn er jetzt abdrückte, würde der Schuss so gut wie unhörbar sein. Trotz der papierdünnen Wände würden nicht einmal die Nachbarn etwas mitkriegen.
    Tina war Sekundenbruchteile davon entfernt, in ihrer eigenen Wohnung, der letzten Zuflucht vor der gewalttätigen Welt da draußen, erschossen zu werden. Trotzdem konnte sie sich noch immer nicht überwinden, etwas zu sagen.
    Der Killer machte einen Schritt auf sie zu und beugte sich zu ihr herab, so dass das Kissen nun auch ihr Blickfeld verdunkelte. »Ich werde kein zweites Mal fragen«, flüsterte er. »Zum letzten Mal, wo ist sie?«
    Die Klingel schlug an, offenbar hatte unten jemand gedrückt, der sie besuchen wollte. Es war ein langes, ununterbrochenes Summen, ihr Besucher schien keine Geduld zu haben.
    Tina hatte nicht die leiseste Ahnung, wer es sein könnte, abends bekam sie so gut wie nie Besuch, und unangemeldet schon gar nicht. Aber immerhin genügte das irritierende Geräusch, den Killer kurz abzulenken, da er sich instinktiv zur Quelle umgedreht hatte.
    In diesem Moment sprengte der Alkohol die letzte Hemmschwelle hinweg, und Tina griff – den Schwindel in ihrem vernebelten Schädel ignorierend – mit einem lauten Schrei nach der Pistole.

ZWEIUNDSECHZIG
    Ich drückte immer noch wie besessen auf die Klingel von Tinas Wohnung, die sich im dritten Stock eines unscheinbaren Wohnhauses befand, als ich einen Schuss hörte – nur ein entferntes Ploppen, aber ein unverwechselbares. Fast gleichzeitig barst eine Fensterscheibe.
    Hinter mir war der Taxifahrer aus seinem Wagen gesprungen und wollte, dass ich ihm endlich die vierzehn Pfund bezahlte, die ich ihm für die Fahrt schuldete. Ich hatte es ihm beim Aussteigen nicht geben können, da ich überhaupt kein Geld bei mir trug. Nun schien es ihn zu beunruhigen und zu nerven, dass die Person, die ich aufsuchen wollte und die, wie ich ihm versichert hatte, die Taxifahrt

Weitere Kostenlose Bücher