Instinkt
bisschen eskaliert, und ich habe ihm eine verpasst. Eine Kugel, meine ich. Und einer seiner Kumpel hat auch eine abgekriegt.« Während ich das sagte, kamen mir die Geschehnisse bereits völlig surreal vor. Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich getan hatte.
Tommy riss Augen und Mund auf. »Nicht Mitchell. Sag mir, dass du nicht Mitchell abgeknallt hast. Diesen Irren.«
»Nein, keine Sorge, der steht noch. Und kann sogar alleine gehen.«
»Und diese beiden Typen? Sind sie tot?«
Ich schüttelte den Kopf. »Lässt sich wieder flicken, schätze ich.«
Ein paar Augenblicke sagte Tommy gar nichts, und ich fragte mich schon, ob ich es vermasselt hatte. Doch dann hieb er mit der flachen Hand aufs Lenkrad und brach in ein kehliges Gelächter aus. »Himmelherrgott nochmal, Sean, bist du der Eismann, oder was? Ich raff es nicht, dass du da drinnen zwei von Mitchells Leuten angeballert hast. Wolfe wird sich die Haare raufen.«
Er schlug mir auf die Schulter und starrte mich mit einem Ausdruck an, der gefährlich nahe an Bewunderung grenzte. In diesem Moment wusste ich, dass ich, auch wenn es mich meine Karriere kosten konnte, einer von ihnen war.
ACHT
Es war genau 13:15 Uhr, als Tina wieder im Verhörraum Platz nahm. Die Bilder der brutalen Night-Creeper-Morde noch vor Augen, setzte sie sich neben DCI MacLeod, um die letzte Phase des Verhörs zu beginnen.
Kent spürte offenbar, dass etwas nicht stimmte, denn er blickte nervös von einem Polizisten zum anderen und leckte sich dabei die Lippen.
Jacobs, sein Anwalt, wirkte ungeduldig.
Tina sagte die notwendigen Daten für die Aufzeichnung und fokussierte ihren Blick dann auf Kent. Sie fragte sich, wie man so eine Verachtung für das menschliche Leben entwickeln konnte. Er hatte nicht nur seinen Opfern unbeschreibliches Leid und unbeschreibliche Qualen zugefügt, sondern auch ihren Familien und Freunden. In diesem Augenblick hasste sie ihn. Hasste jede Faser von ihm, weil er sie mit seinem Unschuldsgehabe an alles erinnerte, was in ihrem Leben schiefgelaufen war. Alles wegen einem wie ihm.
Dann riss sie sich zusammen, und da sie merkte, dass MacLeod darauf wartete, dass sie weitermachte, sagte sie schließlich: »Wir haben Ihren Computer untersucht, Mr. Kent, und eine Reihe Heimvideos gefunden. Sie zeigen die Ermordung mehrerer Opfer des Night Creepers.«
Kent wirkte perplex. »Was reden Sie da? So etwas habe ich nicht auf meinem Computer.«
»Als Ihr Anwalt rate ich Ihnen, nichts mehr zu sagen, Mr. Kent«, unterbrach ihn Jacobs, der gleichfalls schockiert wirkte. »Nicht, ehe wir uns darüber verständigt haben.« Er wandte sich an Tina. »Ich muss ein paar Minuten allein mit meinem Mandanten sprechen.«
Doch Kent schien gar nicht zuzuhören, sondern starrte unverwandt Tina und MacLeod an: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ehrlich nicht. Ich habe überhaupt keine Videos auf meinem Notebook. Haben Sie dieses Zeug auf einem Computer in meiner Wohnung gefunden?«
»Wir sollten uns allein unterhalten«, wiederholte Jacobs entschlossen und legte Kent die Hand auf den Arm.
Kent wich ihm aus und beugte sich über den Tisch. Er kam Tina so nahe, dass sie seinen säuerlichen Atem spüren konnte. »Da will mir jemand was anhängen«, sagte er flehentlich. »Das muss es sein. Ich weiß nicht warum, aber irgendjemand will mich reinlegen.«
»Beruhigen Sie sich, Mr. Kent«, sagte MacLeod.
»Was für einen Computer haben Sie überhaupt gefunden? Sagen Sie mir das. Weil – ich habe einen Dell Inspiron. Das ist meiner. Ich schwöre es.«
MacLeod sagte ihm, es handle sich um einen Mac, und Kent wiederholte seine hysterischen Beteuerungen. Er habe nie einen Mac besessen und schon gar keine Videos daraufgespielt.
Tina lehnte sich zurück und beobachtete ihn. Sie hatte zahllose Lehrgänge besucht, in denen man ihnen alle Facetten der Körpersprache erklärt hatte. Sie hatte gelernt, die eindeutigen Signale eines Lügners zu entziffern: das Fehlen von Handbewegungen, eine abwehrende Haltung, die Vermeidung von Blickkontakt. Doch Kent offenbarte nichts dergleichen.
Tina zwang sich, den aufsteigenden Zweifel zu unterdrücken. Er war einfach nur ein unglaublich guter Schauspieler und gehörte eben zu einer kleinen, aber nachweisbaren Minderheit unter den Kriminellen. Mit einem schnellen Blick zu MacLeod, der ihr unmerklich zunickte, vergewisserte sie sich seines Einverständnisses, sah dann dem Verdächtigen scharf in die Augen und bezichtigte ihn der Morde.
Kent
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