Instinkt
Möglichkeit gibt es nicht.«
»Ich weiß.«
»Ist alles in Ordnung mit dir? Ich meine, was dein Leben angeht?«
Die Frage gab ihr ein unbehagliches Gefühl, denn die aufrichtige Antwort wäre ein glattes Nein gewesen, das sie jedoch nie über die Lippen gebracht hätte.
»Schon okay, CMIT macht Spaß. Die Arbeit ist spannender als bei der CID. Und auch als bei der SOCA, um ehrlich zu sein. Und wie geht’s dir?«
»Gut. Viel zu tun. Wie immer.«
»Und Paul Wise?«, fragte sie und meinte damit den Mann, der sie mehr als alle anderen in ihren Träumen heimsuchte und sie daran hinderte, ein neues Leben zu beginnen. »Gibt es neue Entwicklungen?« Doch bereits während sie es aussprach, bereute sie es, das Thema angeschnitten zu haben, da sie genau wusste, wie seine Antwort ausfallen würde.
»Es ist immer noch eine laufende Ermittlung, aber ich bin mittlerweile nicht mehr so involviert. Jedenfalls geben sie nicht auf, Tina. Dazu ist er ein zu großer Fisch.«
»Freut mich zu hören. Leider wird er bei dem Tempo, das ihr da vorlegt, friedlich in der Erde ruhen, bis ihr genug Beweise gegen ihn zusammengetragen habt.«
»Es braucht eben Zeit, Tina«, stellte Bolt sachlich fest. »Das weißt du auch. Gerade bei jemandem wie Wise.«
»Ja«, gab sie zu. »Ich schätze, ich weiß das.« Sie erhob sich und sah sich in ihrem Wohnzimmer um. »Es ist spät, und ich sollte dich schlafen lassen. Aber wenn du irgendetwas wegen der Fahrzeugregistrierung und der Handynummer tun kannst, wäre ich dir sehr dankbar.«
Bolt entgegnete, er werde sehen, was zu machen sei, und verabschiedete sich, während Tina noch lange in die tote Leitung lauschte. Sie fühlte sich müde und völlig leer.
Zehn Minuten später lag sie im Bett und bemühte sich, nicht an Paul Wise zu denken. Es fiel ihr schwer, denn Wise war der typische Fall eines Kriminellen, dem das Recht nichts anhaben konnte. Er war ein skrupelloser Schwerverbrecher, ein mutmaßlicher Pädophiler dazu, der sich ein Imperium aufgebaut hatte, das von Immobilienprojekten bis zum Drogenschmuggel so ziemlich jeden lukrativen Geschäftszweig einschloss. Obwohl er verdächtig war, mindestens ein Dutzend Morde in Auftrag gegeben zu haben, darunter auch den an Tinas ehemaligem Partner und Verlobten, war es ihm bei seiner Jagd nach Profit stets gelungen, eine Haftstrafe zu vermeiden, und gegenwärtig lebte er unantastbar und jenseits der Reichweite britischer Gesetze im türkisch besetzten Teil Zyperns. Mike hatte Recht, sie musste die alten Gespenster abschütteln und nach vorn schauen, doch das war nicht einfach, wenn sie genau wusste, dass der Mann, der ihr Leben zerstört hatte, über das Gesetz, die Polizei und über sie im Besonderen hohnlachte.
Sich vor ihren Träumen fürchtend, schloss sie die Augen. Sie fragte sich, wovon Psychopathen wie Andrew Kent und Paul Wise träumten, und ob sie jemals Alpträume hatten.
Sie hoffte es.
ZWEIUNDVIERZIG
Ich war wohl eingeschlafen, denn als ich wieder die Augen öffnete, war es im Wald um mich herum dunkel. Von irgendwoher drang ein orange leuchtender Schein, und einen Augenblick lang wusste ich nicht, wo ich mich befand.
Dann überrollte mich die Erinnerung in einer gewaltigen Woge. Die Entführung. Die Prügel. Die Morde. Die Flucht. Und schließlich die Erkenntnis, mich in ernsten Schwierigkeiten zu befinden.
Die Flammen des brennenden Gebäudes zuckten zwar nicht mehr durch den Nachthimmel, aber hatten sich zu einer tieforangenen Feuersbrunst verdichtet, die sich mit den Blaulichtern der Einsatzwagen zu einem psychedelischen Kaleidoskop vermischte. In der Ferne hörte ich die Feuerwehrmänner Kommandos rufen, und der Aufregung in ihren Stimmen zufolge hatten sie den Brand noch lange nicht unter Kontrolle. Der Waldrand lag etwa fünfzig Meter entfernt, und ich erkannte Schatten und Silhouetten, die sich vor den flackernden Lichtern bewegten.
Ich glitt unter dem Busch hervor und stand auf. Ich brauchte unglaublich lange, denn jede Faser meines Körpers und besonders meine Rippen schmerzten. Auch mein Gesicht tat noch höllisch weh, und ein brennender Durst plagte mich, da ich seit dem Umstieg in den zweiten Fluchtwagen, vor unzähligen Stunden also, nichts mehr getrunken hatte.
Ich wollte wissen, wie spät es war, und sah auf die Uhr. Da erwischte es mich kalt: Sie war nicht da. Ich fluchte und schaute unter dem Busch nach. Aber ich konnte sie nicht finden. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich sie zuletzt benutzt hatte. Als
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