Internat auf Probe
entrüstet. „Wie kann ein Mensch, der in einem Stall mit Tieren arbeitet, so brutal sein? Ich glaube, der hat seinen Beruf verfehlt. Für solche Notfälle gibt es doch schließlich Tierheime und Auffangstationen. Ich werde mich darum kümmern, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Aber jetzt gibt’s erst mal Kakao und Kuchen. Ich hab den Tisch auf der Terrasse gedeckt. Macht es euch gemütlich.“
Ein paar Minuten später sitzen Carlotta, Sofie und Manu im Schatten eines bunten Sonnenschirms und genießen kalten Kakao und Streuselkuchen. Jonas hat blitzschnell drei große Stücke verputzt. Jetzt liegt er im Gras und spielt mit den Welpen. Smilla und Meggie klettern auf ihm herum, während Mo konzentriert versucht, den langen Grashalm zu fangen, den Jonas ihm hinhält. Seine Mutter guckt lächelnd zu.
„Na, bist du jetzt zufrieden?“, flüstert Carlotta Manu zu.
Die nickt. „Und wie!“
„Willst du trotzdem immer noch so schnell wie möglich weg von hier?“, fragt Sofie leise.
Manu überlegt eine Weile, bevor sie antwortet.
„Ich glaub nicht“, sagt sie schließlich. „Ich kann ja die Hundebabys nicht allein lassen. Und euch auch nicht, oder? Ich muss also hierbleiben, ob ich will oder nicht.“ Sie macht eine kleine Pause und grinst, bevor sie weiterspricht. „Inzwischen gefällt’s mir hier eigentlich auch ganz gut. Okay, die Lehrer nerven zwar, und in der Schule werd ich auch nie eine Leuchte sein, aber ich glaub, es gibt Schlimmeres. Ich bleib hier. Vorläufig jedenfalls“, fügt sie hinzu.
Fröhlich stoßen die drei Mädchen mit ihrem Kakao an.
„Kein Internat auf Probe mehr“, beschließt Carlotta und blinzelt in die Sonne. „Abgemacht!“
Als Carlotta ein paar Tage nach den aufregenden Ereignissen und Manus denkwürdigem Entschluss, vorerst auf Prinzensee zu bleiben, in ihr Zimmer stürmt, liegt ein Stapel Post auf ihrem Schreibtisch. Jemand muss die Postfächer geleert und alles mit hochgebracht haben.
Eine Modezeitschrift und ein Brief aus Belgien für Sofie und zwei Postkarten für Manu liegen obenauf; darunter kommt ein dicker Briefumschlag mit exotisch aussehenden Briefmarken zum Vorschein.
Carlotta nimmt den Umschlag in die Hand, betrachtet ihn von allen Seiten und runzelt die Stirn, aber dann erkennt sie die Handschrift: Post von Papa! Endlich!
Aufgeregt reißt sie den Umschlag auf und hält ein dickes, ledergebundenes Tagebuch in der Hand. Als sie es vorsichtig durchblättert, fallen eine kleine Karte und ein Foto heraus.
Das Foto zeigt Papa. Braun gebrannt und gut gelaunt strahlt er in die Kamera. Carlotta legt es beiseite und dreht die Karte um, um sie zu lesen.
Liebe Carlotta! Hier kommt Tagebuch Nummer eins. Pass gut darauf auf. Vielleicht ist es eines Tages wertvoll. (Kleiner Scherz, aber man weiß ja nie …) Wenn Du dies liest, bin ich schon in KwaZulu-Natal, einer tropischen Region auf der Kap-Halbinsel. Viele liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen und Entdecken wünscht Dir
Dein oller Papa.
PS: Ich hab Dich sehr lieb und denk an Dich!
Carlotta drückt das Buch an sich. Wie lieb von Papa! Sie befestigt das Foto an ihrer Pinnwand, schafft Platz in ihrem Bücherregal und stellt das Tagebuch hinein.
Gleich heute Abend fang ich an zu lesen, nimmt sie sich vor. Ich bin ja schon so gespannt!
Wenig später sitzt sie an ihrem Schreibtisch, verdrückt ein paar Gummibärchen und trommelt mit dem Füller auf ihrem Briefpapier. Ihr ist siedend heiß eingefallen, dass sie Katie schon ewig lange nicht mehr geschrieben hat. Dabei ist doch so viel passiert, was die Freundin unbedingt wissen muss! Fieberhaft überlegt sie, womit sie anfangen soll, dann fliegt der Füller plötzlich wie von allein über das hellblaue Papier.
Sie erzählt Katie alles – und das ist eine ganze Menge. Dass sie aus der Ruder-AG ausgetreten ist und dafür in der Foto-AG mitmacht. Dass sie zusammen mit Manu und Sofie drei Hundebabys gerettet hat und dass sich die Probleme mit den beiden in Luft aufgelöst haben.
So viel ist passiert, denkt Carlotta. Und das ist bestimmt tausendmal besser als alles, was in Katies Internatsbüchern steht. Weil ich es nämlich wirklich erlebt hab, denkt Carlotta glücklich.
Aus dem Park kommt ein lautes Wiehern. Sie springt auf und lehnt sich aus dem Fenster. Eine Abteilung Reiter trabt auf ihren Pferden vorbei. Manu winkt von einem großen Schimmel zu ihr herauf. Carlotta winkt zurück.
Als die Reiter verschwunden sind, wandert ihr Blick zum See hinüber. Neben
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