Internat und ploetzlich Freundinnen
Carlotta. „Wie wird der Gips eigentlich abgemacht? Weißt du das schon?“
„Mit einer Kreissäge“, antwortet Manu.
„Was!?“ Carlotta setzt sich auf. „Die sägen dir in den Arm? Das gibt’s doch nicht!“
„Nee, hoffentlich nicht.“ Manu schüttelt den Kopf. „Ich glaub, die haben so eine kleine Spezial-Kreissäge.“
„Hast du keinen Schiss?“, staunt Carlotta.
„Ich? Vor einer Säge? Nö.“ Manu kichert. „Zur Not säg ich zurück.“ Liebevoll streichelt sie über ihren Gipsarm und macht ein schniefendes Geräusch. „Du warst mir ein treuer Begleiter, Gipsi. Du wirst mir fehlen.“
Carlotta zeigt ihr einen Vogel.
Kurz nach der Mittagspause holt Frau Heselein Manu ab, um mit ihr in die Klinik in der nahe gelegenen Kreisstadt zu fahren. Ein letztes Mal winkt Manu Carlotta mit dem Gips zu. Carlotta reckt einen Daumen nach oben. Wenig später rollt der rote Kleinbus des Internats vom Hof.
„Jetzt bin ich ganz allein“, sagt Carlotta zu sich selbst und geht langsam die breite Schlosstreppe hinunter. Es ist ungewohnt und kommt nur selten vor. Carlotta kann sich kaum daran erinnern, wann sie das letzte Mal wirklich allein gewesen ist. Seit sie auf Prinzensee ist, jedenfalls nicht. Da wuselt ständig jemand um einen herum. Und Manu wuselt manchmal sogar für drei.
Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Bis zum Beginn der Foto-AG hat sie noch jede Menge Zeit. Die Hausaufgaben sind erledigt und um die restlichen Mathekärtchen kann sie sich später noch kümmern. Sie geht an der Bibliothek vorbei und muss feststellen, dass an den Computern mal wieder dichtes Gedränge herrscht. Keine Chance, einen freien PC-Platz zu ergattern, um Katie oder Papa eine Mail zu schreiben. Kurzerhand beschließt Carlotta, stattdessen Finchen und die Hunde zu besuchen. Vielleicht ist Jonas auch zu Hause. Dann hätte sie wenigstens ein bisschen Gesellschaft.
Am See ist Jonas nicht. Carlotta geht extra am Ufer entlang, aber der Angelplatz zwischen den großen Steinen ist verwaist. Weit und breit keine Spur von dem Blondschopf und seinem Fischeimer. Stattdessen entdeckt sie neben dem Bootshaus eine Schülergruppe, die aufgeregt miteinander diskutiert. Brendan und Felix sind auch dabei.
„Das gibt’s doch gar nicht!“, hört sie eine laute Stimme. „Wie kann das angehen?“, und: „Das müssen wir sofort melden!“
Neugierig geht Carlotta auf die Mitschüler zu.
„Was ist denn hier los?“, fragt sie.
„Mein Handy ist geklaut worden!“ Brendan schnaubt. Er sieht sehr wütend aus. „Mitten am Tag!“
Carlotta erschrickt. „Was!?“
„Ich wollte nur ein halbes Stündchen rudern“, sagt Brendan und rauft sich die Haare. „Ich hab meine Sachen wie immer ins Bootshaus gelegt. Das Handy steckte in meiner Jackentasche. Als ich wiederkam, war’s weg.“
„Ist das fies!“, stößt Carlotta hervor. „Und du bist sicher, dass du’s nicht verloren hast?“
„Absolut sicher.“ Brendan nickt grimmig. „Meine Jackentasche hat einen Reißverschluss.“
„Vielleicht ist ein Loch drin?“, wendet Carlotta vorsichtig ein.
Brendan holt seine Trainingsjacke und zeigt sie ihr. Keine Spur von einem Loch. Carlotta schluckt. Das ist schon der zweite Diebstahl innerhalb weniger Stunden!
„Das Ding war nagelneu und richtig teuer.“ Brendan stöhnt auf. „Meine Eltern bringen mich um.“
„Blödsinn“, sagt Carlotta. „Du kannst doch nichts dafür. Niemand lässt sich absichtlich beklauen!“
Brendan guckt sie an. „Schon vergessen? Laut unseren Schulregeln sind Wertsachen im Schließfach aufzubewahren. Ich kann sehr wohl was dafür.“ Er macht eine Pause und verzieht das Gesicht. „Wahrscheinlich kommt nicht mal die Versicherung dafür auf. Ich bin erledigt.“
Felix klopft ihm aufmunternd auf den Rücken. „Los, komm. Wir gehen rauf ins Sekretariat und melden den Diebstahl. Je früher wir Bescheid sagen, umso größer sind die Chancen, dass sie den Dieb vielleicht noch erwischen.“
Brendan wirft sich seine Trainingsjacke über die Schulter und nickt. „Okay, du hast Recht. Lass uns gehen.“
Er winkt Carlotta zu und trabt mit hängendem Kopf hinter Felix her. Die übrigen Schüler zerstreuen sich und schlendern davon.
Carlotta bleibt allein zurück. Unwillkürlich senkt sie den Blick und sucht das hohe Gras rund um das Bootshaus nach dem Handy ab. Aber das haben Brendan und die anderen bestimmt auch schon gemacht. Sie holt tief Luft. Brendans Handy ist genauso verschwunden wie Nadines Portmonee.
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