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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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Angst.
     
    Das Totenbuch unterscheidet drei Bardo-Zustände: Chikhai-Bardo, Chönyid-Bardo und Sipa-Bardo. Der Verstorbene erlebt sie nacheinander. In jedem Bardo-Zustand
kämpft er sozusagen um das Heil seiner Seele. Hat er es in den ersten beiden Bardos nicht geschafft, das Nirwana zu erlangen, so wird es im Sipa-Bardo, also dem letzten Bardo-Zustand, sehr schwer für ihn. Hier geht es eigentlich nur noch darum, eine schlechte Reinkarnation zu verhindern.
    Der erste Bardo ist der kürzeste und erstreckt sich lediglich über den Moment des Sterbens bis zum Eintritt des Todes. Wer in diesen wenigen Augenblicken, wie oben erwähnt, erkennt, was zu erkennen nötig ist, braucht den Beistand des Totenbuches nicht mehr. Der zweite Bardo-Zustand dauert vierzehn Tage.
    In dieser Zeit erscheinen dem Verstorbenen sowohl freundliche, als auch zornige und furchteinflößende Gottheiten. Er kann aber auch wahrnehmen, was in der irdischen Welt passiert. Beispielsweise sieht er seine trauenden Angehörigen und ist als Geistwesen bei seiner eigenen Beerdigung anwesend.
    Jeden Tag nun liest der Vorleser dem Toten aus dem Bardo Thödol vor . Unter anderem Folgendes: »Wohlgeborener Freund. Du hast jetzt die Welt der Lebenden verlassen. Aber du bist nicht der Einzige; der Tod kommt zu allen. Lass dich nicht aus falscher Sentimentalität und Schwäche dazu verleiten, dich an dieses Leben zu klammern. Der einzige Effekt wäre, dass deine Wanderung im Kreislauf der Wiedergeburt weitergeht ...
    Dein momentaner Körper besteht ausschließlich aus
Gedanken und Neigungen. Du kannst nicht nochmals sterben ...
    Du bist im Bardo, dein künftiges Schicksal hängt davon ab, dass du dies erkennst ...«
     
    Das Totenbuch sagt, dass maßgeblich das Karma des Verstorbenen, also die Essenz seines Handelns und Denkens, darüber entscheidet, welchen Weg er im Bardo einschlägt. Dennoch sind die Belehrungen des Bardo Thödol äußerst wichtig und können der Seele im entscheidenden Moment hilfreich zu Seite stehen und sie sogar retten. Hat der Tote im Laufe seiner vorangegangenen Leben viel schlechtes Karma angesammelt, wird er den bösen Gottheiten, die ihm in der Zwischenwelt entgegentreten, hilflos ausgeliefert sein.
     
    So heißt es zum Beispiel weiter:
    »Wohlgeborener Freund, die ersten beiden Gottheiten, die sich hier vor dir manifestieren, sind der glorreiche Große Buddha Heruka und seine Gefährtin. Sie steigen aus der Mitte deines Gehirns auf. Heruka ist von dunkelbrauner Farbe und hat drei Köpfe, sechs Arme und vier Beine. Von seinem Körper steigt flammender Glanz auf. Er reißt seine neun Augen zornig auf. Seine schiefen und vorstehenden Zähne glänzen metallisch. Aus seinem Mund dringt neben einem unverständlichen Lallen und Lachen auch ein durchdringendes Pfeifen. Sein Kopfschmuck besteht aus
getrockneten Totenschädeln. Um seinen Leib schlingen sich schwarze Schlangen und Schnüre, auf denen blutige Menschenköpfe aufgereiht sind ...
    Du siehst, wie sie die Zähne ihres Oberkiefers in die Unterlippe schlagen, wie sie dich mit glasigen Augen anglotzen. In der Hand halten sie das Buch des Gerichtes. Sie stoßen wilde Schlachtrufe aus, schmausen Menschenhirn und schlürfen Blut, sie reißen Leichen die Köpfe ab und die Herzen heraus ...
    Rufe deinen religiösen Lehrer an und bete:
    Oh weh, ich irre im Bardo umher, rette mich!
    Sei mir gnädig, lass mich nicht im Stich!«
     
    An dieser Stelle möchte ich etwas sehr Wichtiges erläutern. Es handelt sich sozusagen um die Kernaussage des gesamten Tibetischen Totenbuches und wird in allen Ansprachen an den Toten immer und immer wieder dargelegt und unterstrichen:
    Sämtliche Gottheiten, die guten und die fürchterlichen, die sich dem Verstorbenen zeigen, sind nichts weiter als seine eigenen unterbewussten Projektionen. Kein Gott ist real. Kein Dämon existiert wirklich. Alle Erscheinungen sind zurückzuführen auf die Psyche des Verstorbenen. Und das Totenbuch geht noch weiter. Die zornigen Gottheiten sind im Grunde identisch mit den friedlichen. Einer Münze gleich zeigt sich auf der einen Seite das Gute – und auf der anderen Seite das Böse. Aber es ist dieselbe Münze.

    So heißt es im Bardo Thödol in einer Textpassage, die am dreizehnten und vierzehnten Tag nach Eintritt des Todes vorgelesen werden soll:
    »Wohlgeborener Freund, am vierzehnten Tag tauchen die vier Hüterinnen der Schwelle vor dir auf. Sie haben ähnliche Attribute wie die männlichen Hüter ... allerdings

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