Intimer Betrug
sich mit den Fingern entnervt durchs Haar und unterdrückte gerade noch rechtzeitig einen heftigen Fluch, als sich die Tür öffnete.
»Mr. Germaine ist da, Euer Gnaden«, verkündete sein Butler von der Türschwelle aus.
»Danke, Carver.«
Germaine stürmte herein, als wäre seine Ankündigung durch den Butler eine Formalität, für die in seinem vollen Terminkalender kein Platz war. Vincent spürte die vertraute Zuneigung, die ihn beim Anblick des jungen Manns jedes Mal überkam, denn wer hätte sich von der Unbekümmertheit und Lebensfreude, die einen Großteil von Germaines Persönlichkeit ausmachten, nicht angezogen gefühlt? Und doch …
Vincent sah auf den wachsenden Stapel Rechnungen auf seinem Schreibtisch und musterte seinen Cousin. Er war nachder neusten Mode gekleidet: Sein exquisiter Rock war maßgeschneidert und wie seine Hosen in Dunkelgrau gehalten, seine Weste zeigte eine hellere Nuance von Taubengrau. Ein Blick genügte, um zu erkennen, wofür zumindest ein Teil seines Geldes ausgegeben worden war. Obwohl der Junge in seiner exklusiven Aufmachung eine stattliche Figur abgab, lag es nicht an der teuren Garderobe, dass man ihm einen zweiten Blick schenkte. Es war auch nicht sein außergewöhnlich gutes Aussehen, das ihn bei fast jeder Frau in London, ob nun verheiratet oder nicht, beliebt machte. Es war der unbekümmerte Ausdruck in seinem attraktiven Gesicht, das übermütige Funkeln seiner Augen, das wie ein Magnet wirkte.
»Kevin«, begrüßte Vincent seinen Cousin und hoffte darauf, irgendeinen Anflug von Ernsthaftigkeit entdecken zu können.
»Euer Gnaden.«
Er sah nichts dergleichen.
»Nimm Platz.« Vincent deutete auf einen der zwei Ledersessel vor dem Schreibtisch.
Es folgten ein leichtes Heben der Augenbrauen sowie ein vernehmlicher Seufzer der … war das wirklich Langeweile? Aber schließlich schlenderte sein Cousin doch zu dem Sessel und ließ sich nieder.
»Welch ein … unerwartetes Vergnügen, Euer Gnaden. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was der Grund für diese dringliche Vorladung sein könnte.«
»Ach nein?«
Vincent nahm den Stapel Rechnungen von seinem Schreibtisch und warf ihn Germaine in den Schoß. »Vielleicht kann das hier ja Licht ins Dunkel bringen.«
Kevin Germaine würdigte die Papiere kaum eines Blickes, bevor er sie zurück auf Vincents Schreibtisch legte. »Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, Raeborn. Da erwarten Sie doch sicher nicht, dass ich für alle Schulden, die ich mache, Rechenschaft ablege?« Er schnippte eine imaginäre Fluse vom Ärmel seines Rocks, als wäre es von größter Wichtigkeit, sie zu entfernen.
»Nein. Nicht für alle. Nur für die exorbitanten Schulden, die deine vierteljährliche Apanage bei Weitem übersteigen.«
»Vierteljährliche Apanage? Ich sage Ihnen schon seit Jahren, dass ich unmöglich von dem leben kann, was Sie und mein verstorbener Vater mir für meinen Unterhalt zugestehen. Ich habe eine gesellschaftliche Stellung, der ich gerecht werden muss. Gewisse Standards, die ich aufrechterhalten muss.«
Vincent bemühte sich, seinen Ärger im Zaum zu halten. »Darum geht es hier nicht. Du weißt, dass der Betrag, der jedes Vierteljahr für dich vorgesehen ist, mehr als großzügig bemessen ist. Wenn du die Ausgaben für deine Geliebte kürzen oder die Summe einschränken würdest, die du am Spieltisch verlierst, könntest du deine Schulden vielleicht aus eigener Kraft begleichen, statt dies von mir zu erwarten.«
Langsam stahl sich ein unschuldiges Lächeln auf die Lippen seines Cousins und verwandelte seine attraktiven Züge. Es war genau das Lächeln, das ihm seit frühster Kindheit zur Erfüllung all seiner Wünsche verholfen hatte. »Aber haben Sie denn nicht genau das meinem Vater versprochen?«, fragte er Vincent beinahe herausfordernd. »Haben Sie ihm nicht am Sterbebett versprochen, dass Sie immer für mich sorgen würden?«
Vincent seufzte schwer. Mit entschlossenen Schritten, die von dem dicken Perserteppich gedämpft wurden, trat er zu seinem Cousin. Er wandte seinen Blick keine Sekunde von ihm, sondern fixierte ihn mit dem ihm eigenen Ernst. Es war an der Zeit, ein Machtwort zu sprechen. Dem ausschweifenden Lebenswandel hier und jetzt Einhalt zu gebieten.
»Ich habe das Versprechen, das ich deinem Vater gegeben habe, nicht vergessen. Du hingegen scheinst missverstanden zu haben, was ich ihm versprochen habe.«
Er sah Verwirrung über das Gesicht seines Cousins huschen, die jedoch schnell wieder
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