Intimer Betrug
Rückenlehne zurück wie ein kampfesmüder Soldat. Er musste die neugierigen Blicke ausblenden, die Ungläubigkeit, die er sowohl gestern Abend, als er Lady Grace beim Musikabend der Wedgewoods demonstrativ den Hof gemacht hatte, als auch heute Nachmittag bei ihrer Spazierfahrt durch den Hyde Park in den Gesichtern gesehen hatte.
Wenn er heute Abend durch die Eingangstüren des Earl of Pendleton schritt, würden alle von Raeborns neuerlicher Brautschau gehört haben.
Er zerrte ungehalten an seinem Halstuch und sprang auf. Vielleicht hatte er sie gar nicht geschwängert. Vielleicht würde sie ihm in ein paar Tagen mitteilen, dass kein Grund zur Sorge bestand. Dass ihr unregelmäßiger Monatsfluss wieder eingesetzt hätte.
Er wanderte ruhelos durchs Zimmer. Oh, wie inbrünstig er gebetet hatte, dass sie ihm genau das sagen würde. Wie er gebetet hatte, nicht noch eine Schwangerschaft miterleben zu müssen. Schon gar nicht Grace Warrens, die so zart und zerbrechlich wirkte.
Er dachte an die Frau, mit der er den Nachmittag verbracht hatte. Natürlich herrschte zwischen ihnen ein gewisses Maß an Spannung, doch er hatte sich durchaus gut unterhalten. Sie hatten sich ausgezeichnet verstanden. Ihr Gespräch schien niemals ins Stocken zu geraten, es sei denn, er hatte die Kutsche angehalten, damit sie mit irgendeinem neugierigen Spaziergänger sprechen konnten, der sich den Duke of Raeborn und die Dame, die er zu ehelichen gedachte, genauer ansehen wollte. An der Art, wie sie sich neben ihm versteifte, erkannte er, dass ihr die Aufmerksamkeit unangenehm war, die sie in seiner Begleitung auf sich zog.
Doch wenn sie allein waren, behauptete sie sich. Dass sie überaus talentiert war, hatte er bereits gewusst. Nun wussteer auch, dass sie außerdem intelligent war. Eine Unterhaltung mit ihr war nicht, als spräche man mit einem unreifen, naiven Mädchen, das nichts als Stroh im Kopf hatte. Sie war gebildet und kannte sich in allen aktuellen politischen Fragen aus. Zu jedem Thema, das sie diskutierten, vertrat sie eine eigene Meinung. Er lächelte. Und sie gab auch nicht nach, wenn ihre Ansicht nicht mit seiner übereinstimmte.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, wie es wäre, wieder um eine Frau zu werben, sich eine Ehefrau zu nehmen, einen Menschen zu haben, der auf ihn wartete, wenn er nach Hause kam, jemanden, mit dem man lachen und neben dem man schlafen konnte. Eine Frau zu haben, die seine Kinder gebären und es vielleicht sogar lernen würde, ihn gern zu haben. Jemanden zu haben, mit dem man alt werden konnte.
Doch genau dieselben Gedanken hatte er gehegt, als er seinen ersten beiden Frauen den Hof gemacht hatte. Zwei unschuldigen Frauen, die bei dem Versuch gestorben waren, ihm die Kinder zu schenken, die er sich wünschte. Den Erben, den er brauchte.
Er rieb sich das Kinn und ließ sich von der hellen Sonne bescheinen. Nein. Es wäre das Beste gewesen, wenn er sich rechtzeitig zurückgezogen hätte. Wenn sie ihm heute Abend oder vielleicht auch morgen sagen würde, dass sie kein Kind unter dem Herzen trug.
Ein Teil von ihm betete darum.
Doch ein anderer Teil von ihm, der Teil, dessen Existenz er sich nicht sehr oft einzugestehen gestattete, betete, dass es nicht so wäre. Dass Gott ihm noch eine Chance gäbe.
»Grace, bist du wach?«
Grace hörte es leise an der Tür klopfen und wartete, dass Caroline eintrat.
»Ich dachte, du ruhst dich vielleicht für heute Abend aus.«
»Nein. Ich habe gelesen.« Grace nahm das zugeklappte Buch auf ihrem Schoß in die Hand und schlug es auf. Sie wusste, dass Caroline ihre Lüge durchschaute, und war ihr dankbar, dass sie nicht weiter darauf einging.
»Das ist soeben für dich eingetroffen.« Caroline hielt ihr einen wunderschönen Blumenstrauß hin. »Die sind vom Duke of Raeborn. Sehr aufmerksam von ihm, findest du nicht?«
Grace erhob sich aus ihrem Sessel am Fenster und nahm die Blumen entgegen. »Ja. Sehr.«
»Du musst gestern Abend einen vorteilhaften Eindruck auf ihn gemacht haben. Oder kanntet ihr euch schon vorher?«, fragte Caroline. Ihr Tonfall verriet Grace, dass sie wusste, dass dem nicht so war. Zumindest nicht vor gestern Abend. Caroline war ebenso erstaunt gewesen wie alle anderen, als sie die Abwesenheit der beiden bemerkt hatte und dann registrierte, dass sie in einem Abstand von wenigen Minuten getrennt zurück kamen.
Grace hatte den Blick gesehen, den Caroline ihr zugeworfen hatte. Die Beunruhigung und Sorge darin, weil sie mit
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