Intimer Betrug
geschlossene Tür. Sie wusste nicht, wie sie ihrer tiefen Dankbarkeit Ausdruck verleihen sollte. Ihrer Freude über die Gewissheit, sich die Peinlichkeit ersparen zu können, sich auf die Suche nach einem Ehemann zu begeben. Dem Trost, ein eigenes Zuhause zu haben und ihren Schwestern nicht zur Last fallen zu müssen. Sie hegte keinerlei Zweifel daran, dass es nur noch wenige Tage dauern würde, bis ihr natürlicher Zyklus wieder einsetzte und der Duke of Raeborn aufhören würde, ihr den Hof zu machen. Dann müsste sie sich ernsthaft überlegen, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollte.
Sie setzte sich wieder auf das Sofa und drückte ein Kissen an ihre Brust. Gestern Abend hatte sie heimlich nachgerechnet, wie lange ihre Schwestern nach der Hochzeitsnacht gebraucht hatten, um schwanger zu werden. Caroline hatte drei Monate gebraucht, Josie vier, Francie knapp zwei, Sarah drei und Mary vier. Da Annie erst seit einem Monat verheiratet war, war es bei ihr noch fraglich. Das bewies, dass keine ihrer Schwestern in der Hochzeitsnacht schwanger geworden war, was es auch bei ihr unwahrscheinlich machte – auch wenn ihre Nacht mit dem Herzog natürlich nicht ihre Hochzeitsnacht gewesen war. Sie brauchte nur noch eine Woche zu warten, bis die Natur den Beweis dafür lieferte, dass sie kein Kind erwartete.
Dann würde sie vielleicht auf Carolines Angebot zurückkommen und sich in stiller Abgeschiedenheit auf dem Land niederlassen. Immerhin war sie durchaus in der Lage, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie konnte sich als Gouvernante und Musiklehrerin verdingen. Ihr Verdienst würde sie zwarnicht reich machen, doch immerhin wäre sie in der Lage, sich selbst zu ernähren, und müsste sich nicht darauf verlassen, dass ein Ehemann oder ihre Schwestern für sie sorgten.
Grace erhob sich aus den Kissen und redete sich ein, dass sie nichts zu befürchten hatte. Dass sie glücklich sein sollte, dass ihr eine große Last von den Schultern genommen worden war. Und doch quälte sie eine Traurigkeit, die nicht verfliegen wollte. Eine Traurigkeit, weil sie den Traum aufgeben musste, den sie insgeheim ihr ganzes Leben lang gehegt hatte. Der Traum von einem Zuhause, das erst durch die Liebe zwischen Mann und Frau warm und wohnlich wurde. Von einem Haus, das von Kinderlachen erfüllt war.
Der Preis, den sie für ihren Betrug zahlen würde, war in der Tat hoch.
Grace stand mit Caroline und Josie an ihrer Seite bei ein paar Freundinnen rechts vom Treppenaufgang des Ballsaals der Pendletons und versuchte, sich auf die Gespräche um sie herum zu konzentrieren. Sie musste jedoch feststellen, dass ihre Gedanken immer wieder abschweiften. Dass sie nur an eines denken konnte. Nur an einen Menschen.
Sie spürte seine Gegenwart sofort. Wusste es genau, als er oben auf der Treppe stand. Wusste, dass er da war, noch bevor er angekündigt wurde.
Der Saal erschien ihr kleiner, die Luft wärmer.
Sie nahm sich vor, sich nicht umzudrehen. Nicht in die tiefschwarzen Augen zu sehen oder sich an seinen edlen Gesichtszügen zu ergötzen. Nicht auf den perfekten Schnitt seiner Kleidung, die breiten Schultern oder die muskulösen Schenkel zu achten. Sich nicht an seinen nackten Körper zu erinnern, der sich auf ihren presste, während sie mit den Händen über die Muskeln fuhr, die über seine Schultern und an seinen Armen hinab verliefen. Doch sie tat es trotzdem.
Sie drehte sich um. Ihre Blicke trafen sich und seine Augen fixierten sie mit einem besitzergreifenden Ausdruck, den sie beunruhigend fand.
Obgleich er reglos stehen blieb, erreichte seine Ausstrahlung sie, hüllte sie ein, bis sie sich ihm so zugehörig fühlte wie in der Nacht, als sie bei ihm gelegen hatte.
Ihr Magen verkrampfte sich vor Nervosität. Ihr Brustkorb zog sich zusammen, bis sie keine Luft mehr bekam. Bis sich der Raum um sie zu drehen schien. Alles wäre so viel einfacher, wenn er nicht diese Wirkung auf sie ausüben würde. Wenn sie diese eine Nacht mit ihm vergessen könnte. Wenn vor zehn Jahren ein Wunder geschehen und sie ihm damals schon aufgefallen wäre. Wenn sie nicht wüsste, dass er sich nur deshalb für sie interessierte, weil sie ihn getäuscht hatte. Nur weil es
seine Pflicht war
, bis er wusste, dass sie kein Kind von ihm bekam.
»Alles in Ordnung, Grace?«, fragte Caroline und berührte sie mit ihrer behandschuhten Hand am Arm.
Grace schnappte erschrocken nach Luft und setzte ein falsches Lächeln auf. »Natürlich. Ich war nur in
Weitere Kostenlose Bücher