Intimer Betrug
Raeborn allein gewesen war. Sie wusste, dass sie nicht sehr überzeugend geklungen hatte, als Caroline sie später deshalb ausfragte. Dass Caroline ihr nicht glaubte, als sie behauptete, dass ihr zu warm geworden sei, sie nur frische Luft hatte schnappen wollen und Raeborn ihr gefolgt war, um ihr ein Kompliment über ihr Klavierspiel zu machen und sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging.
»Der Duke ist wirklich aufmerksam. Ich glaube, er ist ganz hingerissen von dir.«
Grace stellte die Blumen auf die Ecke eines kleinen Sekretärs. »Mag sein.«
»Willst du damit sagen, du bist von ihm nicht so angetan?«
Grace sah den fragenden Ausdruck auf Carolines Gesicht und konzentrierte sich wieder auf die Blumen.
»Sind dir seine Avancen unangenehm, Grace?«
»Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß nicht. Du kommst mir in seiner Gegenwart immer ein bisschen nervös vor. Fast so, als würde er dir seine Aufmerksamkeiten aufzwingen. Ich kann mir das von Raeborn zwar nicht vorstellen, aber ist es so, Grace?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Woran liegt es dann?«
Ach, wie gerne hätte sie es Caroline erzählt. Wie gern hätte sie zumindest einen Teil der Last, die sie zu jeder Stunde des Tages in Angst versetzte und sie nachts wach hielt, mit jemandem geteilt. Wie gern hätte sie mit ihrer Schwester darüber gesprochen und ihr gesagt, dass der Duke gar nicht hingerissen von ihr war. Dass sie ihn getäuscht hatte und seine demonstrative Verliebtheit nur Theater war. Dass er für sie nichts als Verachtung empfand und gute Miene zum bösen Spiel machte, weil sie ihn vielleicht in eine Ehe zwang, die er nicht wollte. »Es ist nichts.«
Caroline trat zu ihrer Schwester, nahm ihre Hände und hielt sie fest. Grace fühlte sich plötzlich, als wäre sie die Jüngere. Wie diejenige, die umsorgt wurde, statt andersherum. Das Gefühl war ihr völlig fremd.
»Setz dich zu mir«, bat Caroline und zog Grace zu einem kleinen Sofa, das schräg vor dem Kamin stand. »Ich will mit dir reden.«
Sie nahmen Platz und Caroline drehte sich zu ihr. »Als ich Thomas geheiratet habe, kam ich ohne einen Pfennig in der Tasche zu ihm. Wie du sehr gut weißt, hat Vater keine von uns mit einer Mitgift ausgestattet. Aber ich war die glücklichste Frau auf Erden, weil Thomas’ Familie so vermögend ist, dass ihnen Geld nicht wichtig war. Sie haben sogar ohne zu zögern die Summe bezahlt, die Vater in seiner Gier für mich verlangte.«
»Ich weiß«, sagte Grace, die sich daran erinnerte, welche Angst Caroline ausgestanden hatte, dass Thomas’ Vater sich weigern würde, die verlangte Summe zu zahlen, und die Heirat zwischen ihr und Thomas nicht stattfinden könnte.
»An unserem Hochzeitstag hat mich Thomas’ Vater beiseite genommen und mir das hier gegeben. Er sagte, es sei sein Hochzeitsgeschenk für mich.«
Caroline griff in eine Tasche an ihrem Kleid und zog ein Stück Papier hervor, das sie Grace reichte. »Ich will, dass du es bekommst.«
»Was ist das?«
»Es ist die notarielle Urkunde für ein kleines Landgut. Es ist sehr hübsch und nur eine Stunde zu Pferd von hier entfernt. Die Urkunde ist auf meinen Namen ausgestellt.«
Ungläubig starrte Grace auf das Papier in ihren Händen. »Nein, Linny. Das kann ich nicht annehmen.«
»Und ob du das kannst. Ich will, dass du es bekommst.« Caroline griff nach Graces Händen und hielt sie fester. »Thomas’ Vater hat gesagt, er wolle sicherstellen, dass ich nie wieder auf Vater angewiesen wäre, falls Thomas je etwas zustoßen sollte. Seine Meinung über Vater werde ich hier nicht wiedergeben, doch er wollte sicherstellen, dass ich nie wieder zu ihm zurückgehen und unter seinem Dach leben müsste.«
Grace drückte das Papier an ihr Herz und kämpfte gegen die Tränen an, die ihr über die Wangen zu laufen drohten.
»Es gehört dir, Grace. Dein Leben lang. Du sollst wissen, dass du deine Unabhängigkeit nicht aufgeben musst, wenn du nicht willst. Auch, wenn ich mir keinen besseren Mann als Raeborn vorstellen kann, sollst du dich nicht zu einer Heirat mit ihm gezwungen fühlen, weil du sonst nirgends hin kannst.«
»Ach, Caroline«, sagte Grace, umarmte ihre Schwester ungestüm und drückte sie fest. »Ich habe dich so lieb. Eine bessere Schwester könnte ich mir nicht wünschen. Aber ich lasse mir von Raeborn nicht den Hof machen, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Vielleicht sollte ich das«, sagte sie und kaschierte ihre Verlegenheit mit unterdrücktem Gelächter.
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