Intimitaet und Verlangen
gestehen, dass er sich oft Sorgen darüber machte, was Sharon ihm gegenüber empfand.
»Wieso sagst du mir nie etwas darüber? Ich wusste nicht, dass du dich so fühlst.«
»Es kommt mir vor, als ob ich keinen Gedanken für mich behalten darf, dass ich dir alles, was ich fühle und denke, mitteilen muss.«
Intimität und Verlangen bei Paaren mit geringer Differenzierung
So wie es bei Paaren oft der Fall ist, drängte Sharon Thomas zu Intimität, weil sie ein positives gespiegeltes Selbstempfinden brauchte, und sie erhielt das Gewünschte, wenn sie mit Thomas über ihre Gefühle redete. Das beruhigte sie und verringerte ihre Ãngste und ihre Unsicherheit. Obwohl Sharon sagte, sie wünsche sich Intimität, suchte sie tatsächlich Bestätigung, Empathie und das Gefühl, akzeptiert zu werden. Sie regulierte ihre Angst mit Hilfe von Thomas.
In dieser Hinsicht ähnelte Sharon Thomas im Grunde. Dessen gespiegeltes positives Selbstempfinden hing vom Sex mit Sharon ab. Er drängte Sharon ähnlich zum Sex wie sie ihn dazu, ihr seine Gefühle mitzuteilen. Thomas sagte, er wünsche sich körperliche Intimität und Sex mit seiner Frau, doch tatsächlich ging es ihm um Spannungsabbau und die Versicherung, dass er begehrenswert und ein guter Liebhaber sei.
Sharon sprach oft darüber, wie wichtig es sei, »emotional offen« zu sein. Doch tatsächlich ging es ihr darum, ihr Selbstempfinden zu stabilisieren, indem sie sich dessen vergewisserte, was in Thomas vor sich ging. Ihre Unsicherheit wurde stärker, wenn er sich weigerte, ihr seine Gedanken mitzuteilen. Manchmal sorgte sie sich, was er vor ihr verbergen könnte. Wenn sie das Gefühl bekam, er versuche, sich von ihr abzuschotten, geriet sie auÃer sich. Es gefiel ihr nicht, sich als einen Menschen zu sehen, den man von sich fernhalten musste. Doch so sah sie sich, wenn sie sich durch Thomasâ Augen sah.
Wenn Sharon und Thomas über ihre Gefühle sprachen, war sie eher bereit, sich auf Sex mit ihm einzulassen. Ihr gespiegeltes Selbstempfinden fühlte sich dann verstanden, akzeptiert und geschätzt. Sharon nannte dies »sich hineingelassen fühlen«. Wenn sie dieses Gefühl hatte, wurde ihr sexuelles Verlangenstärker. Sharon war in dieser Hinsicht kein ungewöhnlicher Sonderfall, vielmehr ist dies eine typische Art, wie Intimität das sexuelle Verlangen beeinflussen kann.
Um aus ihrer Pattsituation herauszukommen, brauchten Sharon und Thomas ein neues Bild von Intimität und davon, was es mit ihr auf sich hat.
Fremdbestätigte und selbstbestätigte Intimität
Als ich in den 1980er Jahren anfing, mich mit emotionalen Pattsituationen zu beschäftigen, musste ich zwei neue Begriffe definieren: die der fremdbestätigten und der selbstbestätigten Intimität . Ich brauchte diese Begriffe in Verbindung mit dem Begriff der emotionalen Pattsituation , um beschreiben zu können, was ich bei meinen Klienten beobachtete. Fremdbestätigte und selbstbestätigte Intimität sind keine (rein) theoretischen Konstrukte, sondern zwei völlig verschiedene Arten von Intimität, zwei Elemente eines erstaunlichen Prozesses.
Wie bei den meisten Menschen ist wahrscheinlich auch bei Ihnen der Fokus auf die fremd bestätigte Intimität gerichtet. Meine umfassenden Recherchen in der einschlägigen Fachliteratur ergaben, dass auch Therapeuten sich in der Regel auf die fremdbestätigte Intimität konzentrieren. 1 Diese ist die erste Form von Intimität, die wir als Kinder erleben. Sie beinhaltet, dass ein Partner seine Gefühle, Wahrnehmungen, Zweifel, Ãngste und inneren Wahrheiten offenbart und der andere diese entweder (a) akzeptiert, bestätigt und nachempfindet und/oder (b) sich auf ähnliche Weise offenbart. Fremdbestätigte Intimität hängt von Reziprozität ab. Der Zuhörer muss sich dabei erkenntlich zeigen, indem er sich ebenfalls offenbart oder zumindest das, was der andere gesagt hat, offen aufnimmt und so bestätigt â wobei beides das gespiegelte Selbstempfinden des Sprechers stärkt. Wenn Sie an Intimität denken, haben Sie wahrscheinlich etwas im Sinn, das diesem Modell entspricht.
Wenn Menschen sagen, dass sie sich tiefe Intimität wünschen, stellen sie sich gewöhnlich ein grenzenloses Reservoir bedingungsloser positiver Aufmerksamkeit vor, verbunden mit Vertrauen, Sicherheit und
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