Into the Deep - Herzgeflüster (Deutsche Ausgabe): Roman (German Edition)
den nächsten Vortrag darüber anhören zu müssen, was für ein Idiot ich war, Jake wieder in mein Leben zu lassen, wurde ich von Ricks Worten jedoch überrascht. Und noch verwirrter.
»Deine Schwester hat mir alles über Jake erzählt. Und ich weiß bereits, wie dein Dad darüber denkt, glaub mir. Ich kann ihn verstehen. Wenn ich an seiner Stelle wäre und mitansehen müsste, wie meiner Tochter das Herz gebrochen wird, würde ich dem Burschen vermutlich auch am liebsten eine reinhauen. Aber …« Seine Augen füllten sich mit Mitgefühl und Verständnis, als er sagte: »Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als verwirrter Teenager war, Charley. Auch wenn alle glauben, dass die Kids heutzutage schneller erwachsen werden – gefühlsmäßig sind sie noch Kinder. Jake war damals, was denn, gerade mal siebzehn? Er wurde seit Monaten schikaniert, fälschlicherweise verdächtigt, und während eines Streits kam ein Junge ums Leben. Es ist nicht leicht, das alles durchzustehen. Und wenn man sich dann auch noch die Schuld gibt, obwohl man im Grunde noch ein Kind ist … hätte er besser damit umgehen können? Teufel, ja. Aber nur weil er das nicht getan hat, ist er kein schlechter Kerl, Charley. Es hat ihn zu einem nicht unfehlbaren Jugendlichen gemacht, der vermutlich bis zum Hals voll mit Reue herumgelaufen ist.«
Ich war erstarrt und konnte Ricks mitfühlender Sichtweise sofort folgen. Was er sagte, war der Grund dafür, dass ich Jake verzeihen und ihn als Freund wieder in mein Leben lassen konnte.
»Ich sage dir das, weil ich in Jakes Alter auch ein paar Dinge getan habe, die ich bedaure. Ich habe jemandem weh getan. Das kann ich nicht ungeschehen machen. Jake kann das auch nicht. Aber wenn er es versucht, solltest du ihm Zeit lassen, damit er beweisen kann, dass es ihm ernst ist. Er wird sich bewähren oder nicht, aber später darfst du nicht bedauern, ihm keine Chance gegeben zu haben.«
Ich nickte. »Ich weiß das zu schätzen. Ehrlich. Allerdings … geht es im Grunde nicht darum, ihm eine Chance zu geben. Das habe ich schon getan. Aber … im Moment hab ich keine Kraft dazu.«
Verstehen blitzte in Ricks Augen auf, und er senkte die Stimme. »Du bist immer noch …«
Ich nickte wieder.
Bevor er antworten konnte, klingelte das Handy in meiner Jeans. Da Claudia bisher nicht auf meine SMS von diesem Morgen reagiert hatte, nahm ich an, dass sie es war. Schnell, und dankbar diesem Gespräch zu entfliehen, trocknete ich meine Hände an Ricks Geschirrtuch ab und zerrte das Handy aus der Hosentasche.
»Frohe Weihnachten, Claud«, meldete ich mich.
Zuerst hörte ich jede Menge Hintergrundgeräusche, dann erst Claudias leise Stimme. »Frohe Weihnachten.«
Sie klang sonderbar, und das gefiel mir nicht. »Süße, wo steckst du?« Ich runzelte die Stirn. »Was ist los?«
»Mein Dad und ich haben uns heute Abend gestritten.« Ihre Stimme zitterte. »Er war betrunken. Er … er ist nicht mein Vater, Charley. Er hat mir gesagt, dass er nicht mein richtiger Vater ist.«
Einen Moment lang war ich wie benommen. »Wa …?«
»Meine mitteilsamen Arschlöcher von Eltern haben mich darüber unterrichtet, dass sie am Anfang ihrer Ehe eine offene Beziehung führten. Meine Mom hat sich mit einem Künstler eingelassen. Als ich fünf war, wurde mein Vater misstrauisch, weil ich ihm überhaupt nicht ähnelte. Außerdem haben meine Eltern beide keine grünen Augen, dieser Künstler aber schon. Dad hat einen Vaterschaftstest machen lassen. Seit fünfzehn Jahren wissen sie, dass ich nicht seine Tochter bin.«
»O Gott, Claudia.« Ich schloss die Augen, war voller Mitleid wegen des Schmerzes in ihrer Stimme und wünschte, ich könnte ihre egozentrischen Eltern gegen die Wand klatschen.
Sie lachte leise, aber das Lachen ging in Schluchzen über. »Dad war so herzlos, als wäre das, was er mir gerade gesagt hatte, völlig unbedeutend. Zumindest verstehe ich jetzt, warum dieses Arschloch mein Leben lang kein Interesse an mir gezeigt hat. Und Mom? Mom läuft herum mit diesen großen schuldbewussten Hundeaugen. Ich habe es da nicht länger ausgehalten.« Sie schniefte. »Ich bin auf dem San Diego International. Mein Flug geht in einer halben Stunde.«
Ich nickte. »Wie ist deine Flugnummer? Ich hole dich ab.«
»Es tut mir leid, Charley. Ich weiß, wie spät es ist.«
»Egal«, sagte ich. »Ich komme.«
Claud nannte mir die Flugnummer und legte auf. Sie tat mir so leid, dass ich glaubte, ein schweres Gewicht würde auf meiner
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