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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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not wendig?«
    »Es würde mich nur interessieren, wie es aussieht.«
    »Ich hoffe aufrichtig, Oberstleutnant Picquart, dass Sie nicht die Integrität von Major Henry in Zweifel ziehen wollen«, sagt Boisdeffre äußerst kühl. »Die Botschaft wurde abgefangen und rekonstruiert – und damit hat es sich. Wir setzen Sie davon in Kenntnis im Vertrauen darauf, dass die Presse nichts davon erfährt und Sie endlich von Ihrer böswilligen und hartnäckigen Behauptung Abstand nehmen, dass Dreyfus unschuldig ist. Andernfalls wird das schwerwiegende Folgen für Sie haben.«
    Ich schaue nacheinander die Generäle an. So tief ist die Armee von Frankreich also gesunken! Entweder sind sie die größten Idioten Europas oder die größten Schurken. Ich bin mir nicht sicher, was schlimmer für Frankreich ist. Aber mein Selbsterhaltungstrieb sagt mir, jetzt nicht gegen sie anzukämpfen. Ich muss mich tot stellen.
    Ich senke leicht den Kopf. »Wenn Sie davon überzeugt sind, dass der Brief authentisch ist, dann akzeptiere ich das natürlich.«
    »Dann müssen Sie auch akzeptieren, dass Dreyfus schuldig ist«, sagt Billot.
    »Wenn das Schriftstück authentisch ist, dann … ja, dann muss er schuldig sein.«
    Jetzt ist es heraus. Ich weiß nicht, was ich in diesem Augenblick sonst hätte sagen können, was irgendetwas an Dreyfus’ Misere geändert hätte.
    »Angesichts Ihrer Verdienste, Herr Oberstleutnant, sehen wir davon ab, Anklage gegen Sie zu erheben«, sagt Billot. »Zumindest vorläufig. Allerdings erwarten wir von Ihnen, dass Sie alle Dokumente in Verbindung mit Ihren Nachforschungen zu Esterházy, einschließlich des Petit Bleu, Major Henry aushändigen. Außerdem treten Sie umgehend Ihre Inspektionsreise an. Erste Station ist das 6 . und 7 . Armeekorps in Châlons.«
    Wieder lächelt Gonse. »Wenn Sie erlauben, mein lieber Picquart, nehme ich Ihre Büroschlüssel an mich. Es ist nicht nötig, dass Sie noch einmal in die Abteilung zurückkehren. Major Henry kümmert sich um die laufenden Angelegenheiten. Sie fahren auf ohne Umschweife nach Hause und packen.«
    •
    Ich packe Kleidung für drei oder vier Tage ein und bitte die Concierge, meine Post ans Kriegsministerium weiterzuleiten. Dann bleibt mir vor Abfahrt des Zuges um sieben gerade noch genügend Zeit, bei ein paar Freunden vorbeizuschauen und mich zu verabschieden.
    Pauline sitzt in ihrer Wohnung in der Rue de la Pompe mit den Mädchen beim Abendessen. Erschrocken schaut sie mich an, als ich vor der Tür stehe. »Philippe kann jede Minute aus dem Büro kommen«, flüstert sie und zieht die Tür halb hinter sich zu.
    »Keine Angst, ich komme nicht rein.« Ich stehe mit dem Koffer im Flur und sage ihr, dass ich wegführe.
    »Für wie lange?«
    »Geplant ist etwa eine Woche, aber wenn es länger dauert und du mich sprechen willst, dann schreibe zu meinen Händen ans Ministerium. Aber sei vorsichtig, was du schreibst.«
    »Warum? Ist irgendwas passiert?«
    »Nein, aber Vorsicht kann nie schaden.« Ich küsse ihre Hand und drücke sie an meine Wange.
    »Maman!« Eine schrille Stimme hinter ihr.
    »Du gehst lieber wieder rein«, sage ich.
    Ich nehme eine Droschke zum Boulevard Saint-Germain und bitte den Kutscher zu warten. Inzwischen ist es dunkel, und die Lichter des großen Hauses leuchten hell im trüben Novemberabend. Es herrscht eine geschäftige At mosphäre. Blanche veranstaltet am späten Abend eine ihrer Soireen. »Hallo, Fremder!«, sagt sie. »Du bist viel zu früh.«
    »Ich komme nicht rein«, sage ich. »Leider muss ich Paris für ein paar Tage verlassen.« Ich sage ihr das Gleiche wie Pauline: Wenn sie sich bei mir melden wolle, solle sie das über das Ministerium tun, sich aber bedeckt halten. »Richte Aimery und Mathilde herzliche Grüße von mir aus.«
    »O Georges«, ruft sie entzückt, zwickt mir in die Backe und küsst mich auf die Nasenspitze. »Du bist ein Rätsel!«
    Ich steige wieder in die Kutsche, und als ich mich umdrehe, sehe ich durch die Fenster im Erdgeschoss, wie Blanche den Musikern zeigt, wo sie sich aufbauen können. Mir bleibt ein letztes Bild von Kronleuchtern und einer Überfülle an Zimmerpflanzen, von Louis- quatorze -Stühlen, die mit blassrosa Seide bezogen sind, von schimmerndem Licht auf dem polier ten Fichten- und Ahorn holz der Instrumente. Blanche weist einem der Geiger seinen Platz zu. Der Kutscher lässt die Peitsche knallen, und in der nächsten Sekunde wird dieses Bild von zivilisiertem Leben abrupt aus meinem Blickfeld

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