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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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den Brief in meiner Tasche.
    Leclerc ist beschäftigt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als schwitzend in seinem Vorzimmer zu warten, bis er Zeit hat. Nach einer halben Stunde erscheint ein Adjutant. »Der General möchte wissen, worum es geht.«
    »Eine persönliche Angelegenheit.«
    Er geht wieder und kommt ein paar Minuten später zurück. »Der General schlägt vor, dass Sie alle persönlichen Angelegenheiten mit General de Chizelle besprechen.« De Chizelle ist mein direkter Vorgesetzter im 4 . Tunesischen Schützenregiment.
    »Es tut mir leid, aber es geht um eine Angelegenheit, die ich nur dem Oberbefehlshaber mitteilen kann.«
    Wieder verschwindet er, aber diesmal kehrt er schon nach wenigen Sekunden zurück. »Der General empfängt Sie jetzt.« Ich lasse meinen Koffer stehen und folge ihm.
    Jérôme Leclerc sitzt in Hemdsärmeln an einem klappba ren Kartentisch auf der Veranda seines Büros und geht einen Stapel Post durch. Ein elektrischer Deckenventilator wirbelt die Ecken der Seiten auf, die von einem Revolver an ihrem Platz gehalten werden. Er ist etwa Mitte sechzig, hat ein kantiges Kinn und breite Schultern. Er ist schon so lange in Afrika, dass seine Haut fast genauso hellbraun ist wie die der Einheimischen.
    »Ah, der exotische Oberstleutnant Picquart«, sagt er. »Unser Spezialist für das Mysteriöse, gesandt im Schutze der Dunkelheit!« Sein Sarkasmus ist nicht gänzlich unsympathisch. »Also, Herr Oberstleutnant, um welches brandneue Geheimnis, das Sie Ihrem befehlshabenden Offizier nicht preisgeben können, geht es denn?«
    »Ich möchte die Genehmigung für einen Heimaturlaub in Paris.«
    »Und warum können Sie den nicht bei General de Chizelle beantragen?«
    »Weil er ablehnen würde.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil ich Grund zu der Annahme habe, dass es eine Daueranweisung vom Kriegsministerium gibt, mir die Ausreise aus Tunesien nicht zu gestatten.«
    »Wenn das stimmt – ich bestätige nicht, dass es so ist –, warum sind Sie dann zu mir gekommen?«
    »Weil ich glaube, dass Sie sich eher über einen Befehl vom Generalstab hinwegsetzen würden als General de Chizelle.«
    Leclerc kneift kurz die Augen zusammen, und ich befürchte schon, dass er mich rauswerfen lässt. Aber dann lacht er. »Nun ja, da könnten Sie recht haben. Inzwischen ist mir das alles egal. Aber dafür brauchte ich schon einen verdammt guten Grund. Ein Rendezvous in Paris mit irgendeiner Frau würde nicht reichen.«
    »Ich habe in Paris noch etwas zu erledigen.«
    »Ach, tatsächlich?« Er verschränkt die Arme, lehnt sich zurück und mustert mich ausgiebig von Kopf bis Fuß. »Sie sind ein komischer Vogel, Oberstleutnant Picquart. Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll. Ich hatte gehört, Sie stünden schon an fünfter Stelle auf der Kandidatenliste für den nächsten Generalstabschef. Stattdessen tauchen Sie plötzlich hier in unserem kleinen Drecksnest auf. Also, was haben Sie ausgefressen? Geld unterschlagen?«
    »Nein, Herr General.«
    »Mit der Frau des Ministers ins Bett gestiegen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Was dann?«
    »Das kann ich Ihnen nicht verraten.«
    »Dann kann ich Ihnen nicht helfen.«
    Er richtet sich kerzengerade auf und greift zu einem Aktenstapel.
    Plötzlich überkommt mich eine tiefe Verzweiflung. »Ich sitze hier eine Art Haftstrafe ab, Herr General. Meine Post wird gelesen. Ich werde beschattet. Ich darf das Land nicht verlassen. Das alles ist sehr wirkungsvoll. Sollte ich protestieren, das hat man mir deutlich zu verstehen gegeben, dann wird man mich mit falschen Anschuldigungen zur Räson bringen. Ich weiß nicht, wie ich alldem entkommen soll – außer ich desertiere. Aber dann wäre ich natürlich erst recht erledigt.«
    »Nicht desertieren bitte – dann müsste ich Sie nämlich erschießen lassen.« Er steht auf und vertritt sich die Beine – ein großer, geschmeidiger Mann, trotz seines Alters. Ein Kämpfer, denke ich, kein Schreibtischmensch. In Gedanken versunken spaziert er mit gerunzelter Stirn auf der Veranda umher, bleibt plötzlich stehen und schaut in den Garten. Viele der Blumen kenne ich nicht. Ich erkenne Jasmin, Veilchen, Nelken. Er bemerkt meinen Blick. »Gefällt Ihnen der Garten?«
    »Er ist sehr schön.«
    »Ich habe ihn selbst angelegt. Komisch, aber inzwischen gefällt es mir hier besser als in Frankreich. Glaube nicht, dass ich im Ruhestand zurückgehe.« Er verstummt. »Wissen, was ich nicht ertragen kann, Herr Oberstleutnant?«, sagt er nach kurzer

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