Intrige (German Edition)
bin«, sage ich beim Kaffee. »Geht das?«
Die beiden tauschen Blicke aus. »Natürlich«, sagt Jules. »Du kannst dich auf uns verlassen.«
»Wenn jemand nach mir fragt, sagt einfach, ihr wisst nicht, wo ich bin.«
»Großer Gott, Georges, du bist doch nicht desertiert, oder?«, sagt Anna nur halb im Scherz.
»Ich muss nur mit einer einzigen Person sprechen, Louis Leblois. Wärst du so freundlich, Anna, ihm Bescheid zu geben, dass er so schnell wie möglich herkommen soll? Und sag ihm, dass er niemand davon erzählen darf.«
»Du willst also nur mit deinem Anwalt sprechen?«, sagt Jules und lacht. »Das ist aber kein gutes Zeichen.« Das ist das Äußerste, was er sich an Neugierbekundung gestattet.
Nach dem Frühstück geht er zur Arbeit, etwas später verlässt Anna die Wohnung, um Louis aufzusuchen. Ich wandere in der Wohnung umher und begutachte die Einrichtung – das Kruzifix über dem Ehebett, die Familienbibel, die Meissener Porzellanfiguren, die früher meiner Großmutter in Straßburg gehörten und die Belagerung irgendwie überstanden haben. Ich schaue aus den Fenstern nach vorn auf die Rue Cassette, dann aus denen nach hinten auf einen kleinen öffentlichen Park. Hier würde ich einen Mann postieren, wenn ich das Haus beobachten wollte. Mit einem kleinen Taschenteleskop würde ihm keine Bewegung entgehen. Ich kann einfach nicht still sitzen. Bei den alltäglichsten Geräuschen des Pariser Lebens – im Park spielende Kinder, klappernde Pferdehufe, rufende Straßenhändler – wittere ich Gefahr.
Anna kommt zurück und sagt, dass Louis herkomme, sobald er mit seiner Arbeit bei Gericht fertig sei. Sie macht mir zum Mittagessen ein Omelette, und ich erzähle ihr von Sousse, als wäre ich gerade von einer exotischen Bil dungsreise zurückgekehrt – von den schmalen Steingassen in der arabischen Altstadt, die seit den Zeiten der Phönizier unverändert ist, von dem scharfen Gestank der Schafe, die festgebunden an den Straßenecken darauf warten, geschlachtet zu werden, von den Marotten der winzigen französischen Gemeinde, die gerade einmal achthundert Seelen unter den neunzehntausend Einwohnern der Stadt zählt. »Keine Kultur«, jammere ich. »Niemand, mit dem man reden kann. Kein elsässisches Essen. Mein Gott, ich verabscheue es!«
Sie lacht. »Und als Nächstes erzählst du mir, dass sie noch nie von Wagner gehört haben.« Aber sie fragt nicht, warum ich wieder in Paris bin.
Um vier kommt Louis. Er tänzelt mit seinen zierlichen Füßen über den Teppich und umarmt mich. Der bloße Anblick ist Balsam für meine Nerven. Die schlanke Figur und der gepflegte Bart, seine ganze akkurate Erscheinung, die sanfte Stimme, die sparsamen Gesten – alles verströmt eine Aura von einzigartigem Sachverstand. Lass mich nur machen, scheint mir seine Persönlichkeit zu sagen. Ich habe alle Probleme dieser Welt genau analysiert, ich habe sie gemeistert, und ich stehe dir mit meinem herausragenden Können für ein angemessenes Honorar zur Verfügung. Dennoch fühle ich mich verpflichtet, ihn vor den Gefahren zu warnen, in die er sich begeben könnte. Nachdem Anna uns Tee gemacht und sich dann diskret aus dem Wohnzimmer zurückgezogen hat, hole ich meinen Koffer aus dem Kinderzimmer. Ich hebe ihn auf meinen Schoß und lege die Daumen auf die Schnallen. »Pass auf, Louis«, sage ich. »Bevor ich in die Einzelheiten gehe, solltest du dir darüber im Klaren sein, dass allein diese Unterhaltung mit mir dich in Gefahr bringen kann.«
»Körperliche Gefahr?«
»Nein, das nicht … das bestimmt nicht. Aber berufliche Gefahr – und politische Gefahr. Die Geschichte könnte dich auffressen.« Louis runzelt die Stirn. »Also, was ich dir damit sagen will, ist Folgendes: Wenn du dich darauf einlässt, kann ich dir nicht versprechen, dass es glimpflich ausgeht. Das muss dir in diesem Augenblick ganz klar sein!«
»Ja, ja, Georges, jetzt hör schon auf, und sag mir, worum es geht.«
»Also, wenn du dir sicher bist.« Ich drücke auf die beiden Schnallen und öffne den Koffer. »Schwierig, einen Anfang zu finden. Du weißt doch noch, wie ich Mitte November bei dir war, um dir zu sagen, dass ich weggehe.«
»Ja, für ein paar Tage, hast du gesagt.«
»Das war eine Falle.« Ich nehme einen Packen Papiere aus dem Geheimfach im Boden des Koffers. »Erst hat mich der Generalstab nach Châlons geschickt, um den Nach richtendienst im 6 . Korps zu inspizieren. Dann wurde ich nach Nancy weitergeschickt, um auch über das 7 .
Weitere Kostenlose Bücher