Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
ernste Angelegenheit. Speranza. Die Nachricht wurde im Postamt in der Rue de la Fayette in Paris aufgegeben, am selben Tag wie das Blanche-Telegramm. Es hat mich aber erst vierundzwanzig Stunden später erreicht, weil es wie der Esterházy-Brief fälschlicherweise nach Tunis geschickt worden war.
    Ich habe nie jemand mit dem Namen Speranza kennengelernt – ich weiß nur, dass speranza das italienische Wort für Hoffnung ist. Halbgott ist Blanches Spitzname für unse ren gemeinsamen Freund und Wagnerliebhaber Hauptmann William Lallemand. Die einzige Person, die in Verbindung zur Statistik-Abteilung steht und der diese obskure Tatsa che bekannt sein könnte, ist Blanches früherer Liebhaber du Paty.
    Du Paty. Natürlich! In der Sekunde, in der mir der Name einfällt, wird alles klar. Sie haben du Paty abkommandiert, damit er sich diese teuflische Inszenierung ausdenkt. Sein schlechter Schauerromanstil, halb Dumas, halb Blumen des Bösen, ist unverwechselbar. Vor ein oder zwei Jahren hätte ich bei dem Gedanken, dass von einer derart grotesken Figur eine Gefahr ausgehen könnte, nur gelacht. Jetzt weiß ich es besser. Jetzt weiß ich, wozu er fähig ist. Ich begreife, dass mir gerade die gleiche Sträflingskleidung angepasst wird wie Dreyfus.
    •
    Das Echo der nächsten Explosion am Mittwoch, dem 1 7 . No vember, lässt sogar die schläfrigen Palmen des Militärklubs von Sousse erzittern.
    DREYFUS’ BRUDER NENNT NAMEN DES » WAHREN VERRÄTERS «. Paris, 2.00 Uhr. Im Folgenden der Wortlaut des Briefs, den Dreyfus’ Bruder an den Kriegsminister geschickt hat: »Herr Minister, die einzige Grundlage für die Anschuldigungen gegen meinen Bruder ist ein unsignierter, undatierter Brief, in dem behauptet wird, dass vertrauliche Dokumente an einen Mittelsmann einer frem den Macht weitergegeben wurden. Ich habe die Ehre, Sie davon zu unterrichten, dass der Verfasser dieses Briefes Ferdinand Walsin-Esterházy ist, ein seit dem letzten Frühjahr aus gesundheitlichen Gründen vom aktiven Dienst suspendierter Infanteriemajor. Die Handschrift von Major Esterházy ist identisch mit der in diesem Brief. Da Sie nun die Person kennen, die den Landesverrat begangen hat, für den mein Bruder verurteilt wurde, hege ich keinen Zweifel, dass Sie, Herr Minister, zügig handeln werden, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Hochachtungsvoll, Mathieu Dreyfus.«
    Ich lese den Artikel nach dem Mittagessen, ziehe mich dann auf meinen Fensterplatz zurück und tue so, als wäre ich in mein Buch vertieft. Hinter mir geht die Dépêche von Hand zu Hand. Ich höre die Kommentare der Offiziere. »Da habt ihr es, so sind sie, die Juden, halten zusammen und lassen nicht locker«, sagt einer. »Ehrlich gesagt, dieser Esterházy tut mir leid«, sagt ein anderer. Ein Dritter, ein Hauptmann, der auf Savignaud scharf gewesen war, stimmt ein. »Hier steht, dass Esterházy an General Billot geschrieben hat: ›Ich habe heute in den Morgenzeitungen von der infamen Anschuldigung gelesen, die gegen mich erhoben wurde. Ich bitte Sie, eine Untersuchung einzuleiten. Ich stehe bereit, auf alle Vorwürfe zu antworten.‹« Darauf der Erste wieder: »Schön für ihn. Aber was hat er gegen das ganze Gold der Juden schon für eine Chance?« Ein Hauptmann stimmt zu: »Wie wahr, vielleicht sollten wir für ihn sammeln. Ich bin mit zwanzig Francs dabei.«
    •
    Um einen klaren Kopf zu bekommen, unternehme ich am nächsten Tag einen langen Ausritt an der Küste. Am Horizont über dem Meer rollen gewaltige Wolken nordwärts, die Regenschleier wie Leichentücher hinter sich herziehen. Es ist der Beginn der feuchtesten Jahreszeit. Ich gebe meinem Pferd die Sporen und galoppiere in Richtung des Ribats von Monastir, der noch etwa fünfzehn Kilo meter entfernt ist. Als ich näher komme, sehe ich vor dem Hintergrund des schwarzen Meeres die blassen Umrisse des über tausend Jahre alten Wachturms. Ich denke kurz daran, in den kleinen Fischerort zu reiten. Aber der Himmel ist inzwischen so schwarz wie Tintenfischtinte, und tatsächlich platzen in dem Moment, als ich mich auf den Rückweg mache, die Wolken wie ein aufgeschlitzter Sack, und kalter, dichter Regen geht auf mich nieder.
    Als ich wieder im Stützpunkt bin, gehe ich sofort in mein Quartier, um mich umzuziehen. Die Tür, die ich abgeschlossen hatte, ist offen, und mitten im Wohnzimmer steht schuld bewusst Jemel. Ein paar Sekunden früher hätte ich ihn in flagranti beim Herumschnüffeln ertappt. Aber als ich mich jetzt

Weitere Kostenlose Bücher