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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Paris, 8.25 Uhr. Die Dreyfus-Affäre scheint ein entscheidendes Stadium erreicht zu haben. Auguste Scheurer-Kestner wurde gestern im Kriegsministerium vorstellig, um General Billot die in seinem Besitz befindlichen Informationen über Hauptmann Dreyfus zu übergeben. Die Unterredung dauerte lange, über den genauen Inhalt wurde nichts bekannt … 9. 1 0 Uhr. Le Figaro meldet, dass Scheurer-Kestner gestern mit Premierminister Méline zusammentraf, um über die Affäre Dreyfus zu sprechen.
    In der folgenden Nacht liege ich wach auf meinem Bett. Die Tür habe ich abgeschlossen, den Revolver unter das Kopfkissen gelegt. Während kurz vor Morgengrauen vom nahen Minarett der Ruf zum Gebet ertönt, unterhalte ich mich damit, mir die Krisensitzung in Billots Büro auszumalen: der Minis ter wutentbrannt, der nervöse Gonse den Uniformrock voller Zigarettenasche, Boisdeffre gelähmt, Henry betrunken. Ich stelle mir Gribelin vor, der in seinem Archiv herumwuselt und seine Ordner nach neuen Beweisen gegen Dreyfus durch wühlt, und Lauth, der in Wasserdampfschwaden meine Briefe öffnet und den Geheimcode zu entschlüsseln versucht, mit dem ich die Ereignisse steuere. Ich frohlocke über die imaginierte Verwirrung meiner Feinde.
    Und dann erwidern meine Feinde das Feuer.
    •
    Der erste Schuss ist ein Telegramm. Es ist das Erste, was Jemel mir am Morgen ins Büro bringt. Es wurde am Tag zu vor im Postamt in der Pariser Börse aufgegeben: Wir haben den Beweis, dass das Petit Bleu von Georges gefälscht wurde. Blanche.
    Blanche?
    Es wirkt wie die geflüsterte Drohung eines Fremden, der schon wieder in der Menge untergetaucht ist, bevor man sich nach ihm umdrehen kann. Ich bin mir bewusst, dass Jemel genau beobachtet, wie ich reagiere. Die Nachricht er gibt keinen Sinn und ist doch unheimlich, besonders die Ver wendung von Blanches Namen. »Keine Ahnung, was das heißen soll«, sage ich zu Jemel. »Vielleicht ist es bei der Übertragung verstümmelt worden. Gehen Sie noch einmal zum Telegrafenamt, die sollen sich den Text wiederholen lassen.«
    Am Spätvormittag kommt Jemel zurück. »Es besteht kein Zweifel, Herr Oberstleutnant«, sagt er. »Die haben das in Paris überprüft. Der Text stimmt. Das hier ist auch noch für Sie gekommen, aus Tunis weitergeleitet.« Er gibt mir einen Brief. Der Umschlag trägt den Stempel dringend , und mein Name ist falsch geschrieben: Piquart . Die Handschrift kommt mir bekannt vor. Der zweite Schuss.
    »Danke, Jemel.«
    Ich warte, bis er das Büro verlassen hat, dann öffne ich den Brief.
    Herr Oberstleutnant,
    ich habe einen anonymen Brief erhalten, in dem man mir mitteilt, dass Sie ein abscheuliches Komplott geschmiedet haben, um mich anstelle von Dreyfus zu beschuldigen. In dem Brief wird behauptet, dass Sie – unter anderem – untergeordnete Offiziere bestochen haben, um an Handschriftenproben von mir zu gelangen. Ich weiß, dass das der Wahrheit entspricht. Es wird auch behauptet, dass Sie Dokumente, die man Ihnen in gutem Glauben anvertraut hat, aus dem Kriegsministerium entwendet haben, um daraus ein Geheim dossier zusammenzustellen, das Sie an Freunde des Verräters weitergegeben haben. Ich weiß, dass auch das der Wahrheit entspricht, weil ich heute ein Dokument aus diesem Dossier erhalten habe.
    Trotz dieser Beweise zögere ich immer noch zu glauben, dass ein hoher Offizier der französischen Armee sich an einer derart monströsen Verschwörung gegen einen seiner Kameraden beteiligen konnte.
    Ich gehe davon aus, dass Sie mir eine aufrichtige und eindeutige Erklärung dafür nicht schuldig bleiben werden.
    Esterházy
    Ein Beschwerdebrief des Verräters, in der gleichen Handschrift, mit der er den Bordereau geschrieben hat – die Dreistigkeit des Burschen ist fast schon bewunderungswürdig! Und dann stürzen die Fragen auf mich ein. Woher kennt er meinen Namen? Woher weiß er, dass ich in Tunis bin? Oder dass ich Handschriftenproben von ihm hatte? Wahrscheinlich vom Verfasser dieses angeblich anonymen Briefs. Und wer könnte der Verfasser eines solchen Briefs sein? Henry? Ist dies das Ergebnis der Logik des Generalstabs? Den Schuldigen laufen lassen, damit man den Unschuldigen in Haft halten kann? Ich ziehe das Telegramm aus der Tasche. Wir haben den Beweis, dass das Petit Bleu von Georges gefälscht wurde. Blanche. Was haben sie vor?
    Am nächsten Tag bringt mir Jemel ein weiteres Telegramm mit einem weiteren bedrohlichen Rätsel: Stoppt den Halbgott. Alles ist aufgedeckt. Äußerst

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