Intrige (German Edition)
mich umtreibt, sind einzig Deine Gefühle, wenn Du dies liest.
Ich unterzeichne den Brief nicht und schreibe auch nicht ihren Namen auf den Umschlag. Ich gebe einem Soldaten einen Franc, damit er ihn für mich aufgibt.
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Am Abend empfängt mich Leclerc in seinem Büro. Sein Garten liegt im Dunkeln. Er sieht abgespannt aus. Auf der einen Seite seines Schreibtischs liegt ein Stapel Telegramme, auf der anderen ein Stapel Zeitungen. Er sagt, ich solle mir einen Stuhl nehmen. »Das Kriegsministerium hat mir eine Liste mit Fragen geschickt, die ich Ihnen stellen soll, Herr Oberstleutnant. Zum Beispiel: Haben Sie jemals geheime Informationen an eine oder mehrere Personen außerhalb der Armee weitergegeben?«
»Nein, Herr General.«
Er macht sich eine Notiz.
»Haben Sie jemals ein vertrauliches Dokument gefälscht oder anderweitig verändert?«
»Nein, Herr General.«
»Haben Sie jemals einen oder mehrere Untergebene dazu aufgefordert, vertrauliche Dokumente zu fälschen oder anderweitig zu verändern?«
»Nein, Herr General.«
»Haben Sie jemals einer Frau Einsicht in geheime Dokumente gewährt?«
»Einer Frau?«
»Ja. Anscheinend hat dieser Major Esterházy behauptet, geheime Informationen von einer unbekannten, verschleierten Frau erhalten zu haben.«
Eine verschleierte Frau! Wieder so eine Arabeske à la du Paty …
»Nein, Herr General. Ich habe keiner Frau, weder verschleiert noch unverschleiert, Dokumente gezeigt.«
»Gut. Ich werde Ihre Antworten nach Paris telegrafieren. Außerdem habe ich Sie darüber zu unterrichten, dass der Kriegsminister den Militärkommandanten des Département Seine, General de Pellieux, beauftragt hat, eine interne Untersuchung der ganzen Affäre durchzuführen. Sie werden angewiesen, nach Paris zurückzukehren, um Ihre Aussage zu machen. Ein Beamter des Kolonialministeriums wird Sie begleiten.« Er schließt den Ordner. »Damit trennen sich unsere Wege, Herr Oberstleutnant.«
Er steht auf. Ich erhebe mich ebenfalls.
»Ich würde nicht gerade behaupten, dass es mir ein Ver gnügen gewesen ist, Sie unter meinem Kommando zu haben, aber es war in jedem Fall interessant«, sagt Leclerc. Wir geben uns die Hand. Er legt mir einen Arm um die Schultern und begleitet mich zur Tür. Er riecht streng nach Eau de Cologne. »Ich habe mich gestern Abend mit General Dubuch unterhalten. Er sagt, dieser Esterházy sei ein durch und durch übler Bursche. Er war 82 hier bei uns und wurde wegen einer Unterschlagung in Sfax angeklagt. Ein Untersuchungsausschuss hat in der Sache ermittelt, aber er ist irgendwie davongekommen.«
»Das überrascht mich nicht, Herr General.«
»Wenn die mit so einer zwielichtigen Gestalt gemeinsame Sache machen, Picquart, dann haben Sie es mit Gegnern zu tun, die anscheinend zum Äußersten entschlossen sind. Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
»Bitte.«
»Halten Sie sich bei der Überfahrt nach Frankreich von der Reling fern.«
1 8
Die Fahrt über das Mittelmeer ist im November wesentlich rauer als im Juni. Durch das Bullauge sieht man im einen Augenblick grauen Himmel, im nächsten graue Wellen. Meine russischen Bücher rutschen immer wieder von meinem kleinen Tisch und fallen auf den Boden. Wie bei meiner letzten Fahrt bleibe ich die meiste Zeit in der Kabine. Ab und zu schaut meine Begleitperson vorbei, Monsieur Périer vom Kolonialministerium. Aber sein Gesicht ist schon ziemlich grün, und so bleibt auch er lieber in seiner Kabine. Bei meinen seltenen Ausflügen an Deck befolge ich Leclercs Rat und halte Abstand von der Reling. Ich genieße die mir ins Gesicht peitschende See, die nach Kohlenrauch und salziger Gischt riechende Luft. Hin und wieder fällt mir auf, dass andere Passagiere mich anschauen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das Polizeiagenten sind oder einfach nur Mitreisende, die gehört haben, dass sich jemand an Bord befindet, dessen Name gerade durch die Gazetten geistert.
Wir verlassen Afrika am Dienstag. Am Donnerstagnachmittag kommt die französische Küste in Sicht – eine Wasserlinie im Nebel. Ich habe gerade fertig gepackt, als es an der Kabinentür klopft. Ich greife nach meinem Revolver. »Wer ist da?«, rufe ich.
»Der Kapitän, Herr Oberstleutnant Picquart.«
»Einen Augenblick.« Ich stecke den Revolver in die Tasche und öffne die Tür.
Der Kapitän ist ein mürrisch dreinblickender Mann Anfang fünfzig, nach dem feinen Netzwerk roter Äderchen in seinen Augen zu urteilen, ein Trinker. Wenn man dreimal die Woche von Tunis
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