Intrige (German Edition)
Schriftstücken erhalten, die er an Sie weitergereicht hat. Also, warum haben Sie das Datum in Ihrem Bericht gefälscht?«
Die Aggressivität seines Vorgehens und dieses Detail aus seinen Recherchen erwischen mich auf dem falschen Fuß. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich zu der Zeit, als ich den Bericht abgeliefert habe, seit sechs Monaten ohne Gonse’ Wissen gegen Esterházy ermittelt hatte. Das war ein Akt der Insubordination, den ich dadurch etwas akzeptabler zu machen glaubte, indem ich vorgab, erst seit vier Monaten zu ermitteln. Damals erschien mir diese Lüge nicht von Bedeutung zu sein – was sie auch nicht ist . Aber plötzlich, jetzt in diesem Raum, unter den feindseligen Augen des Großinquisitors, sieht sie unerklärlich verdächtig aus.
»Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt, Herr Oberstleutnant«, sagt Pellieux sarkastisch.
»Ich muss mit den Daten durcheinandergekommen sein«, sage ich schließlich nach einer langen Pause.
»Mit den Daten durcheinandergekommen sein?« Pellieux schaut seine Beisitzer mit einem spöttischen Lächeln an. »Aber Sie stehen doch im Ruf, ein Soldat zu sein, der auf wissenschaftliche Präzision hält, Herr Oberstleutnant, ein Soldat der modern denkenden Generation, die solch reaktionäre alte Fossile wie mich aussortieren würde!«
»Leider unterlaufen auch Wissenschaftlern gelegentlich Fehler, Herr General. Aber letzten Endes ist dieses Datum ohne Belang.«
»Ganz im Gegenteil, Daten sind immer von Belang. Hoch verrat selbst ist meistens eine Frage von Daten, wie es so schön heißt. Zunächst behaupten Sie, dass Sie erst im April auf Major Esterházy aufmerksam wurden. Gerade haben wir festgestellt, dass es immerhin schon März war. Und in Ihrer Akte über Esterházy findet sich der Beweis, dass es sogar schon viel früher war.«
Er gibt dem Hauptmann einen Zeitungsausschnitt. Der Hauptmann geht pflichtschuldig um den Tisch herum und gibt ihn mir. Es ist die Todesanzeige für den Marquis de Nettancourt, Esterházys Schwiegervater, datiert vom 6 . Januar 1 8 9 6 .
»Ich sehe das heute zum ersten Mal.«
Pellieux spielt den Erstaunten. »Nun gut, aber wie ist es in Ihre Akte gekommen?«
»Ich vermute, es ist hinzugefügt worden, nachdem ich die Abteilung verlassen habe.«
»Aber Sie müssen zugeben, dass es auf den ersten Blick den Anschein hat, als hätten Sie sich schon zwei Monate vor Erhalt des Petit Bleu für Esterházy interessiert.«
»Auf den ersten Blick, ja. Möglicherweise ist das der Grund, warum jemand den Ausschnitt der Akte hinzugefügt hat.«
Pellieux macht sich eine Notiz. »Zurück zu dem Petit Bleu. Schildern Sie uns, wie Sie es erhalten haben.«
»Es gehörte zu einer Lieferung, die mir Major Henry eines Spätnachmittags übergeben hat.«
»In welcher Form erreichte Sie die Lieferung?«
»Das Material kam immer in dreieckigen, braunen Pa piertüten. Die bewusste Tüte war dicker als sonst, weil Henry wegen der Fahrt zu seiner Mutter eines der Treffen mit dem Agenten ausgelassen hatte.«
»Haben Sie den Inhalt mit ihm zusammen überprüft?«
»Nein, wie ich schon sagte, er war nur kurz in Paris und musste seinen Zug erwischen. Ich habe das Material sofort in den Tresor gelegt und dann am nächsten Morgen Hauptmann Lauth gegeben.«
»Ist es möglich, dass jemand das Material zwischen dem Zeitpunkt, als Sie es von Henry bekommen und dann an Lauth weitergegeben haben, manipuliert hat?«
»Nein, es lag die ganze Zeit im Tresor.«
»Aber Sie hätten es manipulieren können. Sie hätten die Fragmente des Petit Bleu hinzufügen können.«
Ich spüre, wie mein Gesicht rot anläuft. »Das ist eine empörende Anschuldigung!«
»Ihre Empörung ist irrelevant. Beantworten Sie einfach die Frage.«
»Also gut, die Antwort ist ja. Ja, ich hätte theoretisch das Petit Bleu der Lieferung hinzufügen können. Aber das habe ich nicht.«
»Ist das das Petit Bleu?« Pellieux hält es in die Höhe. »Erkennen Sie es?«
Das Licht im Raum ist trübe. Ich muss mich vorbeugen und halb aufstehen, um es richtig sehen zu können. Es sieht abgegriffener aus, als ich es in Erinnerung habe. Vermutlich ist es im Laufe des letzten Jahres sehr oft angefasst worden. »Ja, sieht so aus.«
»Ist Ihnen bewusst, dass man unter dem Mikroskop feststellen kann, ob die Originaladresse weggekratzt und durch die von Major Esterházy ersetzt worden ist? Und dass die chemische Analyse ergeben hat, dass die Tinte auf der Rückseite des Telegramms nicht die gleiche
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