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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Tunesischen Schützenregiments an, himmelblaue Jacke und rote, grau gestreifte Hose. Ich schaue in den Spiegel und komme mir fehl am Platz vor – die Farben Nordafrikas im nordeuropäischen Winter. Jetzt sehe ich auch noch aus wie ein Hofnarr. Ich bezweifele, dass auch nur ein einziger Soldat in ganz Frankreich verteidigt, was du getan hast. Na gut. Von mir aus.
    Ich trinke Kaffee, schwarz, und esse eine Tartine. Ich übersetze eine Seite Dostojewski. Was macht einen Helden aus? Mut, Stärke, Sittlichkeit, die Kraft, Unglück auszuhalten? Sind das die Charakterzüge, die einen wahren Helden auszeichnen und hervorbringen? Um neun kommt Mercier-Milon, um mich abzuholen. Wir fahren mit dem Aufzug wortlos nach unten ins Foyer. Draußen auf dem Trottoir fällt die Journalistenmeute über uns her. »Verdammt«, sagt Mercier-Milon. »Die müssen uns vom Bahnhof gefolgt sein.«
    »Wenn doch bloß unsere Soldaten so einfallsreich wären.«
    »Das ist nicht lustig, Georges.«
    Der gleiche Chor an Fragen: Dreyfus …? Esterházy …? Untersuchung …? Verschleierte Dame …?
    Mercier-Milon stößt sie zur Seite und öffnet die Tür unserer Kutsche. »Schakale!«, murmelt er.
    Ich schaue mich um und sehe, wie einige der Reporter in Droschken springen, um uns zu folgen. Die Fahrt ist nur kurz, kaum einen halben Kilometer. Als wir an der Place Vendôme ankommen, liegt schon ein weiteres Dutzend Reporter auf der Lauer. Sie blockieren das alte wurmstichige Portal, das in den Amtssitz des Militärgouverneurs von Paris führt. Erst als Mercier-Milon den Säbel zieht und sie den knirschenden Stahl hören, weichen sie zurück und lassen uns durch. Wir betreten ein kühles Gewölbe, das wie das Mittelschiff einer verlassenen Kirche wirkt, und gehen eine von Gipsstatuen gesäumte Treppe hinauf. Mir wird klar, dass ich in diesem quasireligiösen Gebäude mehr als nur ein gefährliches Ärgernis für meine Herren bin: ein Ketzer, vom rechten Glauben abgekommen. Schweigend sitzen wir eine Viertelstunde in einem Vorzimmer, bevor Pellieux’ Adjutant mich abholt. Als ich aufstehe, schaut mich Mercier-Milon mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis an. »Viel Glück, Georges«, sagt er sehr leise.
    Von Pellieux weiß ich nur, und das auch nur vom Hörensagen, dass er Monarchist und strenggläubiger Katholik ist. Ich nehme an, dass er mich auf den ersten Blick verachten wird. Als Antwort auf mein Salutieren zeigt er nur auf den Stuhl, auf den ich mich setzen darf. Er ist etwa Mitte fünfzig, gut aussehend, eingebildet. Das dunkle Haar passt zu seinem schwarzen Uniformrock, ist sorgfältig zurückgekämmt und läuft vorn in einem spitzen Haaransatz zusammen; sein Schnauzbart ist üppig und ausladend. Er sitzt am Kopfende eines Tisches, flankiert von einem Major und einem Hauptmann, die er nicht vorstellt. Für das Protokoll sitzt an einem separaten Tisch ein uniformierter Sekretär.
    »Es ist Aufgabe dieser Untersuchung, Herr Oberstleutnant, die Tatsachen in Zusammenhang mit Ihren Nachfor schungen über Major Esterházy zu ermitteln«, sagt Pellieux. »Zu diesem Zweck habe ich schon Major Esterházy selbst sowie Mathieu Dreyfus, Senator Auguste Scheurer-Kestner und Maître Louis Leblois befragt. Am Ende dieser Untersuchung werde ich, wenn nötig, dem Minister eine Empfehlung aussprechen, ob disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen sind. Haben Sie das verstanden?«
    »Ja, Herr General.« Jetzt weiß ich, warum sie unbedingt wollten, dass ich mit niemand spreche. Sie haben Louis schon befragt und wollen nicht, dass ich erfahre, was er ihnen erzählt hat.
    »Also dann, fangen wir ganz vorn an.« Pellieux’ Stimme ist kalt und pedantisch. »Wann sind Sie zum ersten Mal auf Major Esterházy aufmerksam geworden?«
    »Als die Statistik-Abteilung ein an ihn adressiertes Petit Bleu von der deutschen Botschaft abgefangen hat.«
    »Und das war wann?«
    »Im Frühjahr letzten Jahres.«
    »Etwas genauer, bitte.«
    »An das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    »General Gonse haben Sie ›Ende April‹ gesagt.«
    »Dann wird es wohl so gewesen sein.«
    »Nein, tatsächlich war es Anfang März.«
    Ich zögere. »Ja?«
    »Kommen Sie, Herr Oberstleutnant. Sie wissen doch ganz genau, dass es im März war. Major Henry hatte Urlaub wegen eines Trauerfalls in der Familie, seine Mutter lag im Sterben. Er erinnert sich an das Datum. Er war für einen Blitzbesuch nach Paris zurückgekehrt, hat sich mit Agent Auguste getroffen und eine Lieferung von

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