Intrige (German Edition)
die Hand küssende Dienerin‹?«
Ich stelle mir Ducasse’ Belustigung vor, wenn er jetzt den angewidert ungläubigen Gesichtsausdruck des Generals sehen könnte.
»Was soll das Grinsen, Herr Oberstleutnant?«
»Pardon, Herr General. Zugegeben, er ist ein affektierter junger Bursche und in mancher Hinsicht ziemlich albern. Aber er leistet gute Arbeit und ist absolut vertrauenswürdig. Das ist bloß ein Witz.«
»Und Cagliostro?«
»Auch ein Witz.«
»Verzeihen Sie mir, Herr Oberstleutnant, aber ich habe nur ein einfaches Gemüt. Ich verstehe diese Witze nicht.«
»Cagliostro war ein italienischer Okkultist – Strauss hat eine Operette über ihn geschrieben, Cagliostro in Wien . Einen für das Okkulte unempfänglicheren Menschen als Desvernine kann man sich kaum vorstellen. Darin liegt die Ironie. Das ist alles harmlos, Herr General, das kann ich Ihnen versi chern. Aber anscheinend haben argwöhnische Gemüter in der Statistik-Abteilung daraus einen Fall gegen mich gestrickt, und ich hoffe sehr, dass Sie im Laufe Ihrer Untersuchung auch den anderen Fälschungen nachgehen, die offensichtlich nur die Beschmutzung meines Namens zum Ziel hatten.«
»Nun, ich glaube ganz im Gegenteil, dass Sie Ihren Namen selbst beschmutzt haben, Herr Oberstleutnant. Kein Wunder, wenn man sich mit neurotischen Homosexuellen und Tischerückern einlässt. Und die Comtesse ist dann wohl Mademoiselle Blanche de Comminges?«
»Ja. Sie ist keine richtige Comtesse, aber manchmal kann sie sich schon so aufführen.«
»Und der Halbgott und der gute Gott?«
»Das sind Spitznamen, die sich Mademoiselle de Comminges ausgedacht hat. Ein gemeinsamer Freund von uns, Hauptmann Lallemand, ist der Halbgott. Und leider muss ich zugeben, dass ich der gute Gott bin.«
Pellieux betrachtet mich verächtlich. Zu meinen anderen Sünden kann er jetzt noch Blasphemie hinzufügen. »Und warum ist Hauptmann Lallemand der Halbgott?«
»Weil er eine Vorliebe für Wagner hat.«
»Gehört der auch zu diesem jüdischen Kreis?«
»Wagner? Das bezweifele ich sehr.«
Das ist natürlich ein Fehler. In einer solchen Situation sollte man es nie mit einem Witz versuchen. Ich weiß es in dem Augenblick, als mir die Worte über die Lippen kommen. Der Major, der Hauptmann und sogar der Sekretär lächeln, aber Pellieux’ Gesicht bleibt unbeweglich. »Die Lage, in der Sie sich befinden, Herr Oberstleutnant, ist ganz und gar nicht amüsant. Diese Briefe und Telegramme sind in höchstem Maße belastend.« Er blättert zum Anfang der Akte zurück. »Also, schauen wir uns noch einmal die Widersprüche in Ihrer Aussage an. Warum haben Sie fälschlicherweise behauptet, Ende April letzten Jahres in Besitz des Petit Bleu gelangt zu sein, obwohl es schon Anfang März rekonstruiert wurde …?«
•
Das Verhör dauert den ganzen Tag an – immer wieder die gleichen Fragen, um mich bei einer Lüge zu erwischen. Die Technik, die Pellieux unerbittlich anwendet, ist mir vertraut. Am Ende der Nachmittagssitzung schaut er auf seine museumsreife silberne Taschenuhr. »Wir werden morgen früh fortfahren«, sagt er. »Bis dahin, Herr Oberstleutnant, dürfen Sie mit niemand in Kontakt treten und sich der Aufsicht durch die von der Untersuchungskommission bestimmten Offiziere auch nicht für eine Minute entziehen.«
Ich stehe auf und salutiere.
Draußen dämmert es. Im Vorzimmer zieht Mercier-Milon den Vorhang etwas zur Seite und schaut nach unten zur Reporterschar auf der Place Vendôme. »Wir sollten das Gebäude durch einen anderen Ausgang verlassen«, sagt er. Wir gehen die Treppe hinunter bis in den Keller, durchqueren eine leere Küche und gelangen durch eine Hintertür in einen Innenhof. Es hat angefangen zu regnen. Die Abfallhaufen scheinen sich im Zwielicht zu bewegen, sie rascheln wie lebende Wesen. Als wir zwischen ihnen hindurchgehen, sehe ich die nassen braunen Rücken von Ratten, die durch die verrotteten Lebensmittel wuseln. Mercier-Milon findet ein Tor in der Wand, durch das wir in den Garten hinter dem Justizministerium schlüpfen. Wir gehen über den matschigen Rasen und dann durch ein weiteres Tor auf die Rue Cambon. Zwei Wache stehende Journalisten sehen uns neben einer Straßenlaterne auf die Straße treten. Wir laufen los und erreichen nach etwa zweihundert Metern den Drosch kenstand in der Rue Saint-Honoré. Durchnässt und außer Atem springen wir in die einzige dort stehende Droschke und preschen unseren Verfolgern vor der Nase davon.
Das ruckartig
Weitere Kostenlose Bücher