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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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langsam in mein Blickfeld – die Mütze, die Epauletten, die goldenen Knöpfe, die Tressen, der Säbel, die Streifen an der Hose. Alles an ihm ist genau so wie vor seiner Degradierung, nur dass jetzt noch das rote Band der Ehrenlegion den schwarzen Rock der Artillerieuniform schmückt.
    Er bleibt auf dem Treppenabsatz stehen und salutiert. »General Picquart.«
    »Major Dreyfus.« Ich lächele und strecke ihm die Hand entgegen. »Ich habe Sie schon erwartet. Treten Sie näher.«
    Das Ministerbüro ist seit den Tagen, als Mer cier und Billot hier das Sagen hatten, unverändert . Es ist immer noch in zartem Grünblau vertäfelt, allerdings stellt Pauline jeden Tag frische Blumen auf den großen Tisch zwischen den großen Fenstern, durch die man hinaus in den Garten blickt. Die Bäume sind kahl, die Lichter des Ministeriums leuchten hell an diesem dunklen Nachmittag Ende November.
    »Setzen Sie sich, Herr Major«, sage ich. »Machen Sie es sich bequem. Sind Sie schon einmal hier gewesen?«
    »Nein, Herr Minister.« Er setzt sich auf einen vergoldeten Stuhl. Seine Haltung ist sehr förmlich, der Rücken bleibt durchgedrückt.
    Ich setze mich auf den Stuhl gegenüber. Er hat zugenommen und sieht gut aus, fast elegant in seiner teuren Uniform. Die hellblauen Augen hinter seinem Kneifer schauen mich wachsam an. »Also, Herr Major«, sage ich, lege die Fingerspitzen aneinander und betrachte ihn lange und eindringlich. »Worum geht es?«
    »Es betrifft meinen Rang«, sagt er. »Die Beförderung vom Hauptmann zum Major lässt die Jahre außer Acht, die ich widerrechtlich auf der Teufelsinsel eingekerkert war. Wohingegen Ihre Beförderung vom Oberstleutnant zum Brigadegeneral – wenn Sie mir die Bemerkung gestatten – die acht Jahre, die Sie nicht in der Armee waren, so berücksich tigt, als hätten Sie im aktiven Dienst gestanden. Ich halte das für ungerecht, ja für voreingenommen.«
    »Verstehe.« Ich spüre, dass sich mein Lächeln versteift. »Und was soll ich deswegen unternehmen?«
    »Es korrigieren. Befördern Sie mich in den Rang, den ich erreicht hätte.«
    »Und der wäre Ihrer Meinung nach?«
    »Oberstleutnant.«
    Ich antworte nicht sofort. »Aber das würde eine gesonderte Gesetzesregelung erfordern, Herr Major. Die Regierung müsste in der Abgeordnetenkammer ein neues Gesetz einbringen.«
    »Dann sollte sie das tun. Es ist gerecht.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Weil es politisch unmöglich ist«, sage ich aufgebracht. »Das Gesetz ist im Juni nur deshalb durchgegangen, weil es am Tag nach Ihrer Entlastung eingebracht wurde, da hatten Sie die überwältigende Mehrheit der Sympathien auf Ihrer Seite. Jetzt haben wir November, die Stimmung ist eine völlig andere. Außerdem ist meine Aufgabe – und ich bin mir sicher, Sie werden das verstehen – auch so schon schwierig genug. Als Kriegsminister muss ich mit vielen Offizieren zusammenarbeiten, die lange unsere erbitterten Feinde waren. Ich muss jeden Tag meinen Zorn hinunterschlucken und die alten Schlachten vergessen. Soll ich jetzt die alten Gräben wieder aufreißen?«
    »Es wäre gerecht.«
    »Tut mir leid, aber es geht einfach nicht.«
    Wir sitzen schweigend da. Plötzlich trennt uns mehr als nur ein Streifen Teppich. Ein Abgrund trennt uns. Diese wenigen Sekunden würde ich zu den qualvollsten meines Lebens zählen. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und stehe auf. »Wenn das alles ist …«
    Sofort erhebt sich auch Dreyfus. »Ja, das ist alles.«
    Ich begleite ihn zur Tür. Schrecklich, mit so einer Bemerkung auseinanderzugehen.
    »Ich habe es immer als sehr bedauerlich empfunden, Herr Major, dass wir uns bis heute nie privat getroffen haben«, sage ich vorsichtig.
    »Das stimmt, nicht seit jenem Morgen meiner Verhaftung, als Sie mit mir in Ihr Büro gegangen sind und mich dann zu dem Treffen mit Oberst du Paty gelotst haben.«
    Ich spüre, dass ich rot werde. »Ja, ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich an dieser kläglichen Farce teilgenommen habe.«
    »Nun ja. Ich glaube, das haben Sie wiedergutgemacht!« Dreyfus schaut sich in meinem Büro um und nickt anerkennend. »Es ist großartig, wenn man das getan hat, was Sie getan haben, und dann wird man am Ende ins Kabinett der Französischen Republik berufen.«
    »Aber die Wahrheit ist, so seltsam es sich anhört, dass ich das ohne Sie nie erreicht hätte.«
    »Nein, Herr General«, sagt Dreyfus. »Sie haben das erreicht, weil Sie Ihre Pflicht getan

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