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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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nicht nervös, ich habe nur den Wunsch, die Aussage schnell hinter mich zu bringen. An dem Geländer vor mir befindet sich eine Ablage, auf die der Zeuge seine Notizen oder seine Uniformmütze ablegen kann. Auf dem Podium davor sitzen die Richter – zwei Obersten, drei Majore und zwei Hauptleute. Links von mir, kaum zwei Meter entfernt, sitzt Dreyfus. Es ist ein seltsames Gefühl, so nah neben ihm zu stehen, dass ich ihm die Hand schütteln könnte, aber trotzdem nicht mit ihm sprechen kann. Ich versuche seine Anwesenheit zu vergessen, schaue gerade aus und schwöre, dass ich die ganze Wahrheit sagen werde.
    Jouaust beginnt. »Kannten Sie den Angeklagten vor den Ereignissen, deretwegen er angeklagt ist?«
    »Ja, Herr Oberst.«
    »Woher kannten Sie ihn?«
    »Ich war Dozent an der École Supérieure de Guerre, als Dreyfus dort Student war.«
    »Und Sie hatten keine weiter gehenden Beziehungen zu ihm?«
    »Richtig.«
    »Sie waren weder sein Mentor noch sein Verbündeter?«
    »So ist es, Herr Oberst.«
    »Weder waren Sie ihm noch er Ihnen verpflichtet?«
    »So ist es, Herr Oberst.«
    Jouaust macht sich eine Notiz.
    Erst jetzt wage ich einen kurzen Seitenblick auf Dreyfus. Er hat so lange im Mittelpunkt meines Lebens gestanden, hat mein Schicksal so sehr verändert, hat sich in meiner Vorstellung zu solcher Größe emporgeschwungen, dass es mir unmöglich erscheint, dass der Mann all dem, was er ver körpert, gerecht werden kann. Mir geht der merkwürdige Gedanke durch den Kopf, dass ich diesen stillen Fremden, müsste ich raten, für einen pensionierten kleinen Beamten aus dem Kolonialdienst halten würde, der mich durch seinen Kneifer anblinzelt, als hätten wir uns gerade auf einer sehr langen Reise zufällig im selben Zugabteil getroffen.
    Jouausts trockene Stimme ruft mich in die Gegenwart zurück. »Schildern Sie, wie sich die Ereignisse aus Ihrer Sicht zugetragen haben …« Ich wende den Blick von Drey fus ab.
    •
    Meine Aussage beansprucht den ganzen Sitzungstag und fast den gesamten nächsten. Es erübrigt sich, die Einzel heiten zu wiederholen – Petit Bleu, Esterházy, Bordereau … Ich trage also alles noch einmal vor, als wäre es ein Referat, was es in gewisser Weise ja auch ist. Ich bin der Gründer der Schule für Dreyfus-Studien: ihre Koryphäe, ihr gefeierter Professor. Es gibt keine Frage über mein Spezialgebiet, auf die ich keine Antwort wüsste. Ich kenne jeden Brief und jedes Telegramm, jede Persönlichkeit, jede Fälschung, jede Lüge. Ab und zu stehen Offiziere des Generalstabs auf und stellen bestimmte Punkte infrage. Sie sind wie schwitzende Studenten, die ich mühelos in die Schranken weise. Während ich spreche, lasse ich wie früher bei meinen Studenten gelegentlich den Blick über die zerfurchten Gesichter der Richter schweifen und frage mich, was von alldem sie wohl verstehen.
    Als Jouaust mich schließlich aus dem Zeugenstand entlässt und ich mich umdrehe, um zu meinem Platz zurückzugehen, habe ich den Eindruck – vielleicht zu Unrecht –, dass Dreyfus mir kaum merklich zunickt und ganz kurz dankbar lächelt.
    •
    Laboris Genesung macht gute Fortschritte, sodass er noch mit der Kugel zwischen den Schulterblättern Mitte der folgenden Woche ins Gericht zurückkehren kann. Unter lautem Beifall betritt er zusammen mit Marguerite den Saal. Er winkt den Zuschauern zu und geht zu seinem Platz, wo man einen großen, bequemen Sessel für ihn bereitgestellt hat. Neben seinem feuchten, kalkweißen Gesicht ist das einzige sichtbare Zeichen seiner Verletzung der steife linke Arm, den er kaum bewegen kann. Dreyfus steht auf und schüttelt ihm herzlich die Rechte.
    Labori behauptet, dass er fähig sei, die Arbeit wieder aufzunehmen und durchzustehen. Ich bin nicht davon überzeugt. Mit Schussverletzungen kenne ich mich aus. So ein Heilungsprozess ist langwieriger, als man glauben mag. Meiner Meinung nach hätte sich Labori operieren und die Ku gel entfernen lassen sollen, was allerdings bedeutet hätte, dass der Prozess ohne ihn fortgeführt worden wäre. Er hat Schmerzen und kann nicht schlafen. Außerdem weigert er sich anzuerken nen, dass er unter hohem Leidensdruck stehe. Auf der Straße kann man das erkennen – er weicht leicht zurück, wenn jemand mit ausgestreckter Hand auf ihn zugeht, und zuckt zusammen, wenn er schnelle Schritte hinter sich hört. Im Gerichtssaal zeigt sich das daran, dass er leicht erregbar und unbeherrscht ist, besonders gegenüber dem Vorsitzenden des Gerichts, den

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