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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Besprechung beendet.
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    Am Spätnachmittag stecke ich die Mappe mit den Briefen in meine Aktentasche und nehme sie mit nach Hause.
    Es ist eine ruhige, warme, goldene Tageszeit. Meine Wohnung liegt so hoch über der Straße, dass der meiste Lärm nur gedämpft oben ankommt. Und den Rest schlucken die mit Büchern gesäumten Wände. Das Prunkstück des Wohnzimmers ist ein Flügel, den mir meine Mutter geschenkt hat, ein Érard, der in den Trümmern von Straßburg wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war. Ich sitze in meinem Lehnstuhl und ziehe mir die Stiefel aus. Dann zünde ich mir eine Zigarette an und schaue hinüber zu der Aktentasche, die auf dem Klavierhocker liegt. Eigentlich müsste ich mich umziehen und sofort wieder aufbrechen. Ich sollte mit den Briefen warten, bis ich zurückkomme. Aber die Neugier ist zu stark.
    Ich setze mich an den winzigen Sekretär zwischen den beiden Fenstern und nehme die Akte heraus. Das erste Schrift stück: ein Brief aus dem Militärgefängnis Cherche-Midi, datiert vom 5 . Dezember 1 8 9 4 , über sieben Wochen nach Dreyfus’ Verhaftung. Er ist vom Zensor sauber auf liniertes Papier übertragen worden.
    Meine liebe Lucie,
    schließlich kann ich Dir doch noch ein paar Zeilen schreiben. Ich bin gerade darüber informiert worden, dass mein Prozess am 1 9. dieses Monats beginnt. Man hat mir nicht erlaubt, Dich zu sehen.
    Ich werde Dir nicht all das beschreiben, was ich hier habe erleiden müssen. Die Worte, die das wiedergeben könnten, gibt es in dieser Welt nicht.
    Erinnerst Du Dich, wie ich Dir immer wieder gesagt habe, wie glücklich wir doch sind? Das ganze Leben lächelte auf uns herab. Dann plötzlich dieser furchtbare Donnerschlag, von dem mir noch heute der Kopf dröhnt. Ich, angeklagt des ungeheuerlichsten Verbrechens, das ein Soldat begehen kann! Sogar jetzt noch glaube ich, das Opfer eines schrecklichen Albtraums zu sein …
    Ich drehe die Seite um und überfliege schnell die restlichen Zeilen: »Ich liebe Dich und bete Dich an. Ich umarme Dich tausendmal. Und tausend Küsse für die Kinder. Ich ertrage es nicht, über sie zu sprechen. Alfred.«
    Der nächste Brief, wieder eine Abschrift, wurde zwei Wochen später in der Gefängniszelle geschrieben, am Tag nach seiner Verurteilung: »Meine Verbitterung ist so groß, mein Herz so voller Gift, dass ich mich schon längst meines traurigen Lebens entledigt hätte, wenn mich nicht der Gedanke an Dich gehindert hätte, wenn nicht die Angst, Dir noch mehr Kummer zu bereiten, meine Hand zurückgehalten hätte.«
    Dann die Abschrift von Lucies Antwort am Weihnachts tag: »Ich flehe Dich an, liebster Freund, lebe für mich. Nimm all Deine Kraft zusammen und kämpfe – gemeinsam werden wir kämpfen, bis der wahre Schuldige gefunden ist. Was soll aus mir werden ohne Dich? Nichts habe ich dann mehr, was mich an die Welt bindet …«
    Ich fühle mich schmutzig, als ich das lese. Es ist, als belauschte man im Zimmer nebenan ein Paar beim Liebesspiel. Gleichzeitig kann ich nicht aufhören zu lesen. Ich blättere durch die Mappe, bis ich auf Dreyfus’ Schilderung der Degradierungszeremonie stoße. Als er von den verächtlichen Blicken seiner früheren Kameraden schreibt, frage ich mich, ob er damit auch mich meint: »Es ist nicht schwer, ihre Gefühle zu verstehen. An ihrer Stelle würde ich einen Offizier, der, wie man mir versichert, ein Verräter ist, auch mit Verachtung strafen. Aber Gott sei’s geklagt, das ist das Traurige daran. Es gibt einen Verräter, nur dass nicht ich es bin …«
    Ich höre auf zu lesen und zünde mir noch eine Zigarette an. Glaube ich seinen Unschuldsbeteuerungen? Nein, nicht eine Sekunde. In meinem ganzen Leben bin ich noch keinem Schurken begegnet, der nicht mit ebenso großer Ernsthaftigkeit darauf bestanden hätte, das Opfer eines Justizirrtums zu sein. Das gehört anscheinend zwangsläufig zur kriminellen Natur: Um die Gefangenschaft zu überleben, muss man sich irgendwie von seiner Unschuld überzeugen. Andererseits tut mir Madame Dreyfus leid. Es ist offensichtlich, dass sie ihm vollkommen vertraut – nein, mehr als das, sie vergöttert ihn geradezu wie einen heiligen Märtyrer: »Deine würdevolle Haltung hat auf viele Herzen großen Eindruck gemacht. Und wenn die Stunde der Wiedergutmachung kommt, und sie wird kommen, wird das Gedenken an die Leiden, die Du an jenem furchtbaren Tag hast ertragen müssen, für immer ins Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben sein

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