Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
Dragoner-Hauptmann bleibt auf der Türschwelle stehen und dreht sich zu uns um.
    »Komm, lass uns jetzt sofort gehen«, sagt Pauline plötzlich. »Der zweite Teil und das Essen kommen auch ohne uns aus.«
    »Damit sie alle auf die zwei leeren Plätze starren? Dann können wir ja gleich eine Anzeige im Figaro aufgeben!«
    Nein, wir haben keine andere Wahl, als den Abend durchzustehen: das Streichquartett in der zweiten Hälfte, die beiden Zugaben, den Champagner danach, die sich hinziehenden Verabschiedungen derjenigen, die nicht zum Essen geladen sind, aber noch auf Begnadigung hoffen … Und die ganze Zeit gehen Pauline und ich uns sorgfältig aus dem Weg, was natürlich das sicherste Zeichen für eine Affäre ist.
    Es ist schon nach zehn, als wir uns zum Essen niederlassen. Wir sind eine sechzehnköpfige Tischgesellschaft. Ich sitze zwischen Aimerys verwitweter Mutter – der Comtesse, ganz in schwarzer, geraffter Seide und mit leichenblasser Haut wie der Geist in Don Giovanni – und Blanches Schwester Isabelle. Sie hat erst kürzlich in eine ungeheuer reiche Bankiersfamilie eingeheiratet, der eines der fünf größten Weingüter in Bordeaux gehört. Sie lässt sich anscheinend sachkundig über Appellations und Grands Crus aus, könnte allerdings genauso gut polynesisch sprechen, so viel verstehe ich von alldem. Ich fühle mich auf seltsame, fast schwindelerregende Art abgekoppelt: das weltläufige Gerede erreicht mich als Phonemgebrabbel, die Musik als Zurren und Zupfen auf Darm und Draht. Ich schaue zum anderen Ende des Tischs, wo Pauline Isabelles Ehemann zuhört, einem jungen Mann, dem sein Stammbaum ein derart edles, fast fötusartiges Aussehen beschert hat, dass schon das Verlassen des Mutterleibes einer Geschmacksverirrung gleichkommt. Im Kerzenlicht schnappe ich Blanches Blick auf, der mich aus ihrem Jagdvogelgefieder anfunkelt, die betrogene Frau. Ich wende den Blick ab. Es ist Mitternacht, als wir uns schließlich erheben.
    Um den Anstand zu wahren, verlasse ich das Haus vor Pauline. »Du bist ein verruchtes Weib«, sage ich an der Tür zu Blanche und drohe ihr mit dem Finger.
    »Gute Nacht, Georges,« sagt sie traurig.
    Ich gehe den Boulevard hinauf und halte Ausschau nach einer Droschke mit einer weißen Laterne, die signalisiert, dass sie auf dem Weg ins Depot am Arc de Triomphe ist. Jede Menge blaue, rote und gelbe Laternen rumpeln vorbei, bis schließlich eine weiße auftaucht. Als ich auf die Straße trete, um die Droschke aufzuhalten, und sie schließlich klappernd vor mir stehen bleibt, taucht auch schon Pauline auf dem Trottoir auf. Ich nehme ihren Arm und helfe ihr beim Einsteigen. »Rue Yvon-Villarceau, Ecke Rue Copernic«, sage ich zum Kutscher und steige dann selbst ein. Pauline lässt es zu, dass ich sie kurz küsse, und stößt mich dann zurück.
    »Hör auf. Ich will wissen, was das alles zu bedeuten hatte.«
    »Ach, komm. Das willst du nicht wirklich wissen, oder?«
    »Doch.«
    Ich seufze und nehme ihre Hand. »Die arme Blanche hat einfach kein Glück mit ihrem Liebesleben. Der Mann im Raum, der völlig unpassend oder völlig unerreichbar ist, ist genau der, in den Blanche sich verliebt. Vor ein paar Jahren hat es einen ziemlichen Skandal gegeben, der natürlich vertuscht wurde, aber für die Familie trotzdem hochnotpeinlich war, besonders für Aimery.«
    »Warum besonders für Aimery?«
    »Weil der darin verwickelte Mann ein Offizier aus dem Generalstab war, den Aimery ins Haus eingeführt hatte – ein höherer Offizier, frisch verwitwet, deutlich älter als Blanche.«
    »Was ist passiert?«
    Ich ziehe mein Zigarettenetui aus der Tasche und biete Pauline eine an. Sie winkt ab. Ich zünde mir eine Zigarette an. Mir ist unwohl dabei, die ganze Geschichte zu erzählen, aber ich schätze, Pauline hat ein Recht darauf, sie zu erfahren. Außerdem vertraue ich darauf, das sie sie für sich behält.
    »Blanche und dieser Offizier hatten eine Affäre. Sie dauerte ziemlich lange, ein Jahr vielleicht. Dann hat Blanche jemand andres kennengelernt, einen jungen Aristokraten ihres Alters, wesentlich passender. Dieser junge Mann hat um ihre Hand angehalten. Die Familie war entzückt. Blanche versuchte die Beziehung mit dem Offizier zu beenden. Aber der wollte das nicht hinnehmen. Und dann hat Aimerys Vater, der alte Comte, Briefe von einem Erpresser bekommen, der damit drohte, die Affäre öffentlich zu machen. Der Comte ist schließlich zum Präfekten der Pariser Polizei gegangen.«
    »Mein Gott,

Weitere Kostenlose Bücher