Intrige (German Edition)
zu seinen kleinen Rendezvous verfolgt und sie als die Frau des holländischen Legationsrates identifiziert. Sie heißt Hermance de Weede.«
»Hübscher Name.«
»Für ein hübsches Mädchen. Zweiunddreißig. Drei kleine Kinder. Jedenfalls hurt er ganz schön herum, unser galanter Oberstleutnant.«
»Wie lange geht das schon?«
»Seit Januar. Einmal haben sie in einem Separée im Restaurant La Tour d’Argent zu Mittag gegessen und sich danach ein Zimmer im darübergelegenen Hotel genommen. Einmal sind sie im Champ-de-Mars spazieren gegangen. Er ist ziemlich leichtsinnig.«
»Und warum ist das so interessant für uns, dass wir unsere Mittel auf die Überwachung eines Mannes und einer Frau verwenden, die eine Affäre haben?«
Henry schaut mich an, als wäre ich ein Schwachkopf. »Weil ihn das für Erpressungsversuche anfällig macht.«
»Von wem?«
»Von uns. Von jedem. Das ist ja wohl kaum etwas, was jemand erfahren soll, oder?«
Der Gedanke, dass wir versuchen könnten, den deutschen Militärattaché wegen einer ehebrecherischen Liaison mit der Frau eines hochrangigen holländischen Diplomaten zu erpressen, erscheint mir etwas weit hergeholt, aber ich behalte meine Meinung für mich.
»Und Sie sagen, dieses Bündel ist vorgestern Abend hereingekommen?«
»Ja, ich habe schon zu Hause daran gearbeitet.«
In der nun folgenden Pause wäge ich genau ab, was ich ihm jetzt beibringen muss. Ich wähle meine Worte vorsich tig. »Mein lieber Henry, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich bin der festen Überzeugung, dass so sensibles Material wie dieses hier nach der Übergabe auf direktem Weg ins Büro gebracht werden sollte. Stellen Sie sich vor, die Deutschen finden das heraus!«
»Ich lasse es keine Sekunde aus den Augen, Herr Oberstleutnant, da können Sie ganz beruhigt sein.«
»Das ist nicht der Punkt. Es ist einfach schlampige Arbeit. In Zukunft möchte ich, dass das gesamte Material von Agent Auguste direkt an mich übergeben wird. Ich bewahre es in meinem Tresor auf, und ich entscheide, welche Spuren verfolgt werden und wer sich darum kümmert.«
Henry errötet. Es überrascht mich bei einem solch großen und starken Burschen, aber es scheint, dass er den Tränen nahe ist. »Oberst Sandherr hatte an meinen Methoden nichts aus zusetzen.«
»Oberst Sandherr arbeitet nicht mehr hier.«
»Bei allem Respekt, Herr Oberstleutnant, aber Sie sind neu in diesem Geschäft und …«
Ich hebe die Hand. »Das reicht jetzt, Herr Major!« Ich weiß, dass ich ihm jetzt Einhalt gebieten muss. Ich kann nicht zurückweichen. Wenn ich jetzt nicht das Heft in die Hand nehme, dann nie mehr. »Ich muss Sie daran erinnern, dass dies eine militärische Einheit ist, kein parlamentarischer Debattierklub, und dass es Ihre Aufgabe ist, meinen Befehlen zu gehorchen.«
Er nimmt Habtachtstellung ein wie ein aufgezogener Spielzeugsoldat. »Ja, Herr Oberstleutnant!«
Als befände ich mich in einer Kavallerieattacke, nutze ich mein Momentum. »Da wir schon einmal dabei sind, es gibt noch ein paar andere Veränderungen, die ich vorzunehmen gedenke. Ich will nicht, dass Informanten und andere zwielichtige Gestalten unten im Erdgeschoss herumlungern. Sie kommen in Zukunft nur dann, wenn wir sie rufen, und danach verschwinden sie wieder. Wir sollten uns ein Passierscheinsystem einfallen lassen, damit nur autorisierte Personen Zugang zum ersten Stock haben. Und dann Bachir, der ist ein hoffnungsloser Fall.«
»Sie wollen Bachir loswerden?« In seiner Stimme lag Unglaube.
»Nicht bevor wir eine andere Verwendung für ihn gefunden haben. Bei mir werden alte Kameraden nicht fallen gelassen. Aber wir werden ein elektrisches Klingelsystem installieren, das jedesmal läutet, wenn die Vordertür geöffnet wird, damit wir wenigstens wissen, wenn jemand das Gebäude betritt – für den Fall, dass er schläft, wie vorhin, als ich gekommen bin.«
»Ja, Herr Oberstleutnant. Ist das alles?«
»Fürs Erste ja. Packen Sie das Auguste-Material zusammen, und bringen Sie es in mein Büro.«
Ich drehe mich auf dem Absatz um und verlasse den Raum, ohne die Tür hinter mir zu schließen. Noch so etwas, was ich schleunigst ändern sollte, denke ich, während ich zu meinem Büro gehe: diese verdammte Kultur der Heimlichkeit, in der sich jeder im eigenen Zimmer herumdrückt. Ich versuche links und rechts die Türen aufzureißen, aber sie sind alle verschlossen. Als ich an meinem Schreibtisch sitze, nehme ich ein Blatt Papier und schreibe ein
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