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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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suchen! Ich bitte um keine Gunst, aber ich bitte um die Gerechtigkeit, auf die jedes menschliche Wesen ein Anrecht hat. Lasst sie weitersuchen! Lasst die, welche über wirksame Methoden der Nachforschung verfügen, diese auf meinen Fall anwenden. Es ist dies ihre heilige Pflicht im Dienste der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit …
    Ich lese den letzten Absatz noch einmal. Etwas ist sonderbar daran. Ich begreife, was er tut. Vordergründig schreibt er seiner Frau. Da er aber weiß, dass seine Worte bis dahin durch viele Hände gehen, sendet er auch eine Botschaft an die Lenker seines Schicksals in Paris; also an mich, obwohl er sicher nie geahnt hätte, dass ich an Sandherrs Schreibtisch sitzen könnte. Lasst die, welche über wirksame Methoden der Nachforschung verfügen … Das ändert zwar nichts an meiner Überzeugung, dass er schuldig ist, aber es ist eine clevere Taktik. Sie bringt mich zum Nachdenken. Der Bursche gibt jedenfalls nicht auf.
    P ARIS
    J ANUAR 1 8 9 5
    Mein liebster Fred,
    glücklicherweise habe ich gestern Morgen keine Zeitungen gelesen. Meine Lieben wollten die schändliche Szene in La Rochelle vor mir verbergen, sonst wäre ich vor Verzweiflung wohl verrückt geworden …
    Als Nächstes ist in der Akte ein Brief Lucies an den Minister abgeheftet, in dem sie um Erlaubnis bittet, ihren Mann zum Abschied auf der Île de Ré besuchen zu dürfen. Die Erlaubnis wird für den 1 3 . Februar unter strengen Auflagen erteilt, die ebenfalls aufgeführt werden. Der Gefangene hat an einem Ende des Raums zwischen zwei Wachen zu stehen; Madame Dreyfus hat am anderen Ende in Begleitung einer dritten Wache auf einem Stuhl zu sitzen; zwischen ihnen steht der Gefängnisdirektor; sie dürfen über nichts sprechen, was in Zusammenhang mit dem Urteil steht; physischer Kontakt ist untersagt. Ein Brief, in dem Lucie anbietet, sich die Hände auf den Rücken fesseln zu lassen, wenn sie ihm dafür etwas näher sein könne, trägt den Stempel abgelehnt .
    Fred an Lucie: Die wenigen Augenblicke, die ich mit Dir verbringen durfte, waren voller Freude, auch wenn es mir unmöglich war, Dir all das zu erzählen, was ich in meinem Herzen trug ( 1 4 . Februar). Lucie an Fred: Welche Gefühle, welch angstvollen Schrecken fühlten wir beide, als wir uns wiedersahen, vor allem Du, mein armer, geliebter Mann ( 1 6 . Februar). Fred an Lucie: Ich wollte all die Bewunderung ausdrücken, die ich für Deinen edlen Charak ter empfinde, für Deine bewunderungswürdige Hingabe ( 2 1 . Februar). Stunden später befand sich Dreyfus auf einem Kriegsschiff, der Saint-Nazaire, und dampfte hin aus auf den Atlantik.
    Bis jetzt waren die meisten Briefe in der Akte Abschriften, vermutlich weil die Originale an den Adressaten weitergeleitet wurden. Ab diesem Zeitpunkt jedoch sind die meisten Seiten, die ich lese, in Dreyfus’ eigener Handschrift verfasst. Seine Schilderungen der Reise – heftige Winterstürme in einem ungeheizten, den Elementen ausgesetzten Verschlag auf dem Oberdeck, Tag und Nacht bewacht von bewaffneten Wärtern, die nicht mit ihm sprechen dürfen – sind von den Zensoren im Kolonialministerium zurückgehalten worden. Am achten Tag wurde das Wetter allmählich wärmer. Immer noch kannte Dreyfus nicht das Ziel seiner Reise. Niemand war erlaubt, es ihm zu sagen. Er vermutete Cayenne. Am fünfzehnten Tag der Reise schrieb er an Lucie, dass das Kriegsschiff schließlich vor drei kleinen überwucherten Felsenhügeln inmitten der Ödnis des Ozeans vor Anker gegangen sei: der Île Royale, der Île Saint-Joseph und der Île du Diable, der Teufelsinsel, der kleinsten der drei Inseln. Zu seinem Erstaunen musste er feststellen, dass Letztere für ihn allein vorgesehen war.
    Liebste Lucie … Meine geliebte Lucie … Lucie, liebste … Geliebte Frau … Ich liebe Dich … Ich sehne mich nach Dir … Ich denke an Dich … Ich sende Dir das Echo meiner tiefen Zuneigung … So viel Gefühle, Zeit und Energie, aufgewendet in der Hoffnung auf ein bisschen Nähe, die dann doch nur in dieser dunklen Akte endet! Aber vielleicht ist es besser, denke ich, während ich die immer verzweifelteren Klagen überfliege, dass Lucie nichts davon lesen muss. Sie weiß nichts davon, dass ihr Mann, nachdem die Saint-Nazaire in den Tropen vor Anker gegangen ist, vier Tage lang in seiner Eisenkiste unter der grausamen Sonne eingesperrt blieb, ohne ein einziges Mal an Deck zu dürfen, und dass er schließlich auf die Île Royale geführt und in eine Zelle mit

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