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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Zehen und Spann und zieht den Strumpf über die Wade.
    Ich schaue ihr zu. »Du siehst aus wie Manets Nana .«
    »Ist Nana nicht eine Hure?«
    »Nur durch die Brille der bürgerlichen Moral.«
    »Nun ja, ich bin bürgerlich. Und du auch. Genauso übri gens, und da wären wir beim Punkt, die meisten deiner Nach barn.« Sie zieht den Schuh an und streicht sich das Kleid glatt. »Und wenn ich jetzt gehe, dann sehen sie mich vielleicht nicht.«
    Ich helfe ihr in die Jacke. »Warte wenigstens so lange, bis ich mir etwas angezogen habe, dann kann ich dich nach Hause bringen.«
    »Damit wäre der Zweck ja wohl verfehlt, oder?« Sie nimmt ihre Handtasche. Ihre Heiterkeit ist grässlich. »Auf Wiedersehen, mein Liebling«, sagt sie. »Und schreib mir bald.« Und dann ist sie nach einem flüchtig hingehauchten Kuss auch schon verschwunden.
    •
    Ich komme so früh ins Büro, dass ich damit rechne, das Gebäude für mich allein zu haben. Als ich aber den auf seinem Stuhl dösenden Bachir wachrüttele, erfahre ich, dass Major Henry schon in seinem Büro ist. Ich gehe nach oben, durch den Gang bis zu seiner Tür, klopfe und trete sofort ein. Mein Stellvertreter sitzt mit Lupe und Pinzette an seinem Schreibtisch und beugt sich über verschiedene vor ihm liegende Schriftstücke. Er hebt überrascht den Kopf. Mit der Brille, die ganz vorn auf seiner Stupsnase thront, sieht er erstaunlich alt und verletzlich aus. Er scheint das auch zu spüren, jedenfalls nimmt er sie beim Aufstehen schnell ab.
    »Guten Morgen, Herr Oberstleutnant. Sie sind aber früh dran heute.«
    »Na ja, Sie auch, Herr Major. Man könnte meinen, Sie wohnen hier. Das hier geht zurück ins Kolonialministerium.« Ich gebe ihm die Akte mit der Dreyfus-Korrespondenz. »Ich bin damit durch.«
    »Danke. Und, was halten Sie davon?«
    »Das Ausmaß der Zensur ist ungewöhnlich. Ich bin mir nicht sicher, ob eine derart drastische Beschränkung des Briefverkehrs wirklich nötig ist.«
    »Ah!« Das typisch süffisante Grinsen erscheint auf Henrys Gesicht. »Vielleicht haben Sie ein weicheres Herz als der Rest von uns, Herr Oberstleutnant.«
    Ich schlucke den Köder nicht. »Bestimmt nicht. Aber wenn wir Madame Dreyfus gestatten würden, ihrem Mann zu erzählen, was sie so alles unternimmt, dann brauchen wir es nicht mehr herauszufinden. Und wenn wir ihm erlauben, mehr über seinen Fall zu erzählen, dann macht er vielleicht einen Fehler und verrät uns etwas, was wir noch nicht wissen. Wie auch immer, wenn wir schon mithören, dann sollten wir sie zumindest dazu ermuntern, auch etwas zu sagen!«
    »Ich werde das weitergeben.«
    »Tun Sie das.« Ich schaue auf seinen Schreibtisch. »Was ist das?«
    »Eine frische Lieferung von Agent Auguste.«
    »Wann haben Sie das bekommen?«
    »Vorgestern Abend.«
    Ich werfe einen prüfenden Blick auf ein paar der zerrissenen Notizen. »Irgendwas Interessantes dabei?«
    »Sieht so aus, ja.«
    Die Briefe sind in fingernagelgroße Schnipsel zerrissen. Der deutsche Militärattaché Oberstleutnant Maximilian von Schwartzkoppen achtet anscheinend sorgfältig darauf, die Mitteilungen in ungewöhnlich winzige Stücke zu zerreißen. Andererseits ist er nicht schlau genug zu erkennen, dass Verbrennen die einzig sichere Methode zur Entsorgung von Papier ist. Henry und Lauth sind Experten darin, die Schnipsel mit winzigen durchsichtigen Klebestreifen wieder zusammenzufügen. Die Extraschicht verleiht den Schriftstücken eine geheimnisvolle Struktur und Steifheit. Ich drehe sie um. Sie sind auf französisch, nicht auf deutsch, und mit romantischen Einsprengseln gespickt: mon cher ami adoré, mon adorable lieutenant, mon pioupiou, mon Maxi, je suis à toi, toujours à toi, toute à toi, mille et mille tendresses, à toi toujours.
    »Ich nehme an, die sind nicht vom Kaiser. Oder doch?«
    Henry grinst. »Unser anbetungswürdiger Oberstleutnant Maxi hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau. Äußerst töricht für einen Mann in seiner Position.«
    Für einen Augenblick frage ich mich, ob das eine Spitze gegen mich ist, aber als ich den Blick hebe, schaut er nicht in meine Richtung, sondern mit einem Ausdruck wollüstiger Befriedigung auf den Brief.
    »Und ich dachte, Schwartzkoppen ist homosexuell«, sage ich.
    »Ehefrauen, Ehemänner, er nimmt’s wohl, wie’s kommt.«
    »Wer ist sie?«
    »Sie unterzeichnet mit Madame Cornet, aber das ist nicht ihr richtiger Name. Sie benutzt die Adresse ihrer Schwester als Postfach. Wir haben Schwartzkoppen fünfmal

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