Intrige (German Edition)
die römisch-katholische Kirche, langweilt mich, außerdem hat das Buch siebenhundertfünfzig Seiten. Bei Tolstoi bin ich bereit, derartige Weitschweifigkeit hinzunehmen, bei Zola nicht. Ich lege es bald zur Seite.
Schon früh am nächsten Morgen kehre ich wieder an meinen Schreibtisch zurück, aber über Nacht ist kein Telegramm eingetroffen. Am frühen Nachmittag höre ich, wie Henry und Lauth die Treppe heraufkommen. Ich stehe auf, gehe schnell durch das Büro, reiße die Tür auf und bin überrascht, dass sie beide Uniform tragen. »Meine Herren, ich hoffe doch, dass Sie wirklich in der Schweiz waren«, sage ich sarkastisch.
Die beiden Offiziere salutieren. Lauth, wie mir scheint, mit einer gewissen Nervosität, Henry mit einer fast schon unverschämten Lässigkeit. »Tut mir leid, Herr Oberstleutnant«, sagt er. »Wir haben uns zu Hause kurz umgezogen.«
»Und was haben Sie erfahren?«
»Ich würde sagen, wir haben nur Zeit und Geld verschwendet. Stimmt doch, Lauth, oder?«
»Leider ja, eine ziemliche Enttäuschung.«
Ich schaue von einem zum anderen. »Tja, das sind ja unerwartet deprimierende Neuigkeiten. Kommen Sie rein, erzählen Sie, was passiert ist.«
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und höre mir mit verschränkten Armen ihren Bericht an. Meist redet Henry. Laut seiner Aussage sind er und Lauth vom Bahnhof ge radewegs zum Hotel gegangen, haben gefrühstückt und sind dann hoch in ihr Zimmer gegangen. Um halb zehn ist Inspektor Vuillecard mit Cuers gekommen. »Er war von Anfang an ziemlich ausweichend – nervös, konnte keine Sekunde still sitzen. Ist immer wieder aufgestanden und zum Fenster gegangen, um runter auf den Platz vor dem Bahnhof zu schauen. Er wollte hauptsächlich über seine eigene Lage sprechen – ob wir ihm garantieren könnten, dass die Deutschen nie erfahren, was er für uns getan hat.«
»Und was hat er Ihnen über den deutschen Agenten erzählt?«
»Nur unwichtiges Zeug. Mit eigenen Augen hätte er nur vier Schriftstücke gesehen, die über Schwartzkoppen zu ihnen gelangt sind – eins über eine Kanone und eins über ein Gewehr. Dann noch etwas über den Plan des Heerlagers in Toul und der Befestigungsanlage in Nancy.«
»Was waren das für Schriftstücke?«, frage ich. »Handschriftliche?«
»Ja.«
»Auf französisch?«
»Ja.«
»Aber er kannte nicht den Namen des Agenten oder hatte irgendwelche anderen Hinweise auf seine Identität?«
»Nein, nur dass der deutsche Generalstab zu dem Schluss gekommen ist, der Mann sei nicht mehr vertrauenswürdig, und Schwartzkoppen deshalb angewiesen wurde, die Verbindung zu ihm abzubrechen. Wer das auch ist, er war nie besonders wichtig, und aktiv ist er auch nicht mehr.«
Ich wende mich an Lauth. »Haben Sie sich auf französisch oder auf deutsch unterhalten?«
Er errötet. »Erst auf französisch, am Morgen, dann, am Nachmittag, haben wir deutsch gesprochen.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen dafür sorgen, dass Cuers deutsch redet.«
»Bei allem Respekt, Herr Oberstleutnant«, schaltet Henry sich ein. »Meine Anwesenheit wäre sinnlos gewesen, wenn ich nicht selbst mit ihm hätte sprechen können. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Ich habe es etwa drei Stunden lang versucht, dann habe ich Hauptmann Lauth weitermachen lassen.«
»Und wie lange haben Sie auf deutsch mit ihm gesprochen, Lauth?«
»Noch mal sechs Stunden, Herr Oberstleutnant.«
»Und hat er irgendetwas gesagt, was von Interesse für uns ist?«
Lauth hält meinem Blick stand. »Nein, wir sind immer wieder auf den gleichen Punkten herumgeritten. Um sechs ist er gegangen, um den Zug nach Berlin zu erwischen.«
»Er ist um sechs gegangen?« Ich kann meine Verärgerung nicht mehr verbergen. »Meine Herren, das ergibt überhaupt keinen Sinn. Warum sollte ein Mann das Risiko einer sieben hundert Kilometer langen Reise in eine ausländische Stadt auf sich nehmen, um sich mit Geheimdienstleuten einer ausländischen Macht zu treffen, und dann fast nichts zu sagen? Eigentlich sogar noch weniger, als er uns schon in Berlin gesagt hat?«
»Das liegt doch auf der Hand«, sagt Henry. »Er hat wohl seine Meinung geändert. Oder er hat von Anfang an gelogen. Was so ein Bursche nachts in der eigenen Wohnung vor einem Bekannten betrunken daherplappert, ist etwas anderes als das, was er vielleicht bei helllichtem Tag einem Fremden nüchtern erzählt.«
»Und warum haben Sie ihn dann nicht irgendwohin geschleift und betrunken gemacht?« Ich schlage mit
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