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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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freundlichen Nicken. »Kommen Sie, Picquart, ich nehme Sie in meinem Automobil mit«, sagt er. »Allerdings fahre ich nur bis zum Hôtel de Sens, Sie werden sich also kurz fassen müssen.«
    Das Automobil, ein Panhard & Levassor, hat kein Dach. Der General und ich sitzen erhöht auf der gepolsterten Sitzbank hinter dem Fahrer und rollen schwankend über das Kopfsteinpflaster in Richtung Rue de Lyon. Mehrere Zug passagiere, die in einer Schlange am Droschkenstand warten, erkennen den Generalstabschef und brechen in Jubel aus.
    »Ich glaube, das reicht jetzt, oder?«, sagt er und nimmt seinen Hut ab, legt ihn auf den Schoß und fährt sich mit der Hand durch das schüttere, weiße Haar. »Also, Picquart, was hat das zu bedeuten, was Sie mir da von 1 89 4 geschrieben haben?«
    Auch wenn ich mir das Gespräch etwas anders vorgestellt habe, so besteht zumindest keine Gefahr, dass man uns belauscht. Er muss sich mir zuwenden und mir die Frage fast ins Ohr brüllen, genauso wie ich ihm meine Antwort. »Wir glauben, Herr General, dass wir einem Verräter in der Armee auf die Spur gekommen sind, der Informationen an die Deutschen weitergibt.«
    »Nicht noch einer! Welche Art von Informationen?«
    »Wie es scheint, hauptsächlich über Geschütze.«
    »Wichtige Informationen?«
    »Nicht besonders, aber vielleicht gibt es da auch noch andere Dinge, von denen wir nichts wissen.«
    »Wer ist der Mann?«
    »Ein sogenannter Graf Walsin-Esterházy, ein Major vom Vierundsiebzigsten.«
    Boisdeffre denkt sichtlich angestrengt nach und schüttelt dann den Kopf. »Das ist kein Name, den ich vergessen hätte, wenn er mir einmal untergekommen wäre. Wie sind wir ihm draufgekommen?«
    »Wie bei Dreyfus, durch unsere Agentin in der deutschen Botschaft.«
    »Mein Gott, ich wünschte nur, meine Frau würde mal eine halb so gründliche Putzfrau finden!« Er lacht über seinen Witz. Er scheint das außerordentlich entspannt zu sehen. Vielleicht eine Folge der Wasserkur. »Was sagt General Gonse zu der Sache?«
    »Ich habe es ihm noch nicht erzählt.«
    »Warum nicht?«
    »Ich hielt es für besser, erst mit Ihnen zu reden. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich als Nächstes gern den Minister infor mieren. Ich hoffe, dass ich in ein, zwei Tagen mehr über Esterházy weiß. Bis dahin würde ich es vorziehen, General Gonse nichts zu sagen.«
    »Wie Sie meinen.«
    Er tastet seine Jackentaschen ab, bis er seine Schnupftabakdose findet. Er bietet mir eine Prise an. Ich lehne ab. Er schnupft mehrere Prisen. Wir umkurven die Place de la Bastille. Noch ein oder zwei Minuten, dann sind wir da. Ich brauche eine Entscheidung.
    »Dann habe ich also Ihre Erlaubnis, den Minister zu unterrichten?«, frage ich.
    »Ja, ich denke schon.« Als er weiterspricht, klopft er mir bei jedem Wort nachdrücklich aufs Knie. »Obwohl es mir natürlich sehr recht wäre, wenn man einen weiteren Skandal vermeiden könnte. Ein Dreyfus reicht für eine ganze Generation. Wir sollten versuchen, diesen Fall etwas diskreter zu handhaben.«
    Die Ankunft vor dem Hôtel de Sens erspart mir eine Antwort. Ausnahmsweise sprüht der düstere mittelalterliche Gebäudekomplex vor Leben. Irgendein offizieller Empfang ist im Gange. Menschen in Abendgarderobe treffen ein. Und dann sehe ich, auf den Eingangsstufen wartend, eine Zigarette rauchend, niemand andres als Gonse. Unser Auto mobil hält nur ein paar Meter von ihm entfernt. Gonse wirft seine Zigarette auf den Boden und kommt genau in dem Augenblick auf uns zu, als der Fahrer aus dem Wagen springt und die Trittstufe für Boisdeffre ausklappt. Gonse bleibt stehen und salutiert. »Willkommen in Paris, Herr General!« Dann schaut er mich mit unverhohlenem Argwohn an. »Oberstleutnant Picquart?« Eine Feststellung als Frage.
    »General Boisdeffre war so freundlich, mich vom Bahnhof mitzunehmen«, sage ich schnell. Das ist weder eine glatte Lüge noch die volle Wahrheit, reicht aber hoffentlich für einen schnellen Abgang aus. Ich salutiere und wünsche einen angenehmen Abend. An der nächsten Straßenecke wage ich einen Blick zurück, aber da sind die beiden Männer schon hineingegangen.
    •
    Ich habe sogar drei Gründe, warum ich Gonse nichts von Esterházy erzählen will: erstens, weil ich weiß, dass der vollendete alte Bürokrat, hat er den Fall erst einmal zwischen den Fingern, die Herrschaft darüber übernehmen will und es dann nicht mehr lange dauert, bis erste Einzelheiten nach außen sickern; zweitens, weil ich weiß, wie die Armee

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