Intrige (German Edition)
Unterschrift und der Name des Empfängers nicht zu sehen sind.«
Lauth nimmt die Briefe unter die Lupe und schaut mich dann erschrocken an. »Esterházy!«
»Ja, sieht ganz so aus, dass unser kleiner Spion den Ehrgeiz hat, groß rauszukommen.« Ich kann nicht widerstehen, noch etwas hinzuzufügen. »Aber wir hatten ein Auge auf ihn. Wer weiß, was er sonst noch für Schaden angerichtet hätte.«
»Allerdings.« Lauth nickt zögernd und rutscht unbehaglich auf seinem Sitz herum. »Dürfte ich fragen, Herr Oberstleutnant, wofür Sie die Fotografien brauchen?«
»Seien Sie so nett, Herr Hauptmann, und machen Sie sie einfach.« Ich stehe auf und schaue ihn lächelnd an. »Sagen wir, von jedem Brief vier Abzüge, gleich morgen früh? Und das bleibt unter uns, ausnahmsweise.«
•
Gribelin ist erst kürzlich aus seinem Jahresurlaub zurückge kommen. Nicht dass man ihm das ansähe – sein Gesicht ist blass, die dunklen Tränensäcke unter den Augen, die hinter einer grünen Zelluloidbrille verschwinden, zeugen von großer Erschöpfung. Sein einziges Zugeständnis an die Som merhitze sind bis zu den knochigen Ellbogen aufgerollte Hemdsärmel. Seine entblößten Unterarme sehen aus wie dünne, weiße Wurzelknollen. Er beugt sich über eine Akte, die er schnell zuklappt, als ich den Archivraum betrete. Er nimmt die Brille ab.
»Ich habe gar nicht gehört, dass Sie die Treppe hochgekommen sind, Herr Oberstleutnant.«
Ich gebe ihm die Fotografie des Bordereaus. »Ich glaube, das ist bei Ihnen besser aufgehoben.«
Er blinzelt überrascht. »Wo haben Sie denn das gefunden?«
»Es lag noch in Oberst Sandherrs Tresor.«
»Ah ja, richtig, er war sehr stolz darauf.« Gribelin hält die Fotografie auf Armeslänge von sich und betrachtet sie bewundernd. Mit der Zunge befeuchtet er die Oberlippe, als begutachtete er einen pornografischen Druck. »Wenn es die Vorschriften erlaubt hätten, hat er mir einmal erzählt, hätte er sich das eingerahmt und an die Wand gehängt.«
»Wie eine Jagdtrophäe?«
»Genau.«
Gribelin schließt die untere linke Schublade seines Schreib tischs auf und nimmt seinen gewaltigen Schlüsselbund heraus. Er trägt den Bordereau zu einem alten feuerfesten Aktenschrank und öffnet diesen. Ich schaue mich um. Ich komme kaum jemals nach hier oben. In der Mitte des Raums sind zwei große Tische zusammengeschoben. Auf der abge wetzten braunen Lederoberfläche befinden sich ein halbes Dutzend Ordner, eine Schreibunterlage, eine starke elektrische Lampe, ein Ständer mit Stempeln, ein Tintenfass aus Messing, ein Locher und eine Reihe Stifte – akkurat aufgereiht. An den Wänden stehen die verschlossenen Aktenschränke und Tresore mit den geheimen Unterlagen der Abteilung, darüber hängt eine Karte von Frankreich mit den verschiedenen Départements. Die drei schmalen, vergitterten Fenster sind staubig, die Fensterbänke davor mit den Exkrementen der Tauben verkrustet, deren Gurren ich immer höre.
»Was mir gerade einfällt, haben Sie eigentlich das Original des Bordereaus hier oben?«, sage ich beiläufig.
Gribelin dreht sich nicht um. »Ja, sicher.«
»Ich würde es gern einmal sehen.«
Er schaut sich zu mir um. »Warum?«
Ich zucke mit den Achseln. »Interessehalber.«
Was kann er schon tun? Er schließt eine andere Schublade des schweren Schranks auf und holt eine seiner allgegenwärtigen Aktenmappen heraus. Er öffnet sie und nimmt mit gewisser Ehrfurcht, wie mir scheint, den Bordereau heraus. Er entspricht nicht im Geringsten dem, was ich erwartet habe. Er wiegt fast nichts. Fadenscheiniges Dünndruckpapier, halbdurchsichtig und auf beiden Seiten beschrieben, sodass die Tinte von der einen Seite auf der anderen durchscheint. Das Stabilste daran sind die Klebestreifen, die die sechs auseinandergerissenen Teile zusammenhalten.
»Nach der Fotografie würde man nie darauf kommen, dass er so aussieht«, sage ich.
»Nein, war eine Heidenarbeit.« Der berufliche Stolz lässt Gribelins sonst scharfe Stimme weicher klingen. »Wir mussten beide Seiten abfotografieren, sie retuschieren, dann zusammenkleben und am Ende das ganze Bild noch einmal abfotografieren. So sah es dann aus, als wäre es eine einzige beschriebene Seite.«
»Wie viele Abzüge haben Sie gemacht?«
»Zwölf. Wir mussten seinen ursprünglichen Zustand ver schleiern, um ihn innerhalb des Ministeriums weitergeben zu können.«
»Ja, natürlich. Ich erinnere mich.« Ich drehe den Bordereau hin und her und staune wieder einmal über
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