Invaders: Roman (German Edition)
beobachten, wie sich jemand, den die Gesellschaft für nutzlos hält, als jemand erweist, der viel mehr kann, als man angenommen hat. Das ist höchst befriedigend.«
»Also, ich glaube, wir sollten lieber weitermachen«, schlug William vor, indem er sich wieder der Gruppe zuwandte. »Ladys und Gentlemen, das Feuer wird kurz nach Mitternacht ausbrechen, und ich nehme an, Sie alle brennen darauf, ein bisschen vom alten London zu sehen, bevor es in Flammen aufgeht. Zum Schluss noch ein warnender Hinweis: Bitte achten Sie darauf, worüber Sie sich unterhalten, wenn wir unter Menschen sind. Ich möchte auf keinen Fall hören, dass zum Beispiel jemand über die Talkshow von gestern Abend redet, okay?«
Die Reisenden kicherten leise und folgten William, der sie aus der Gasse führte.
»Ihr Kostüm ist übrigens großartig, Mr. Stamp«, flüsterte William, als sie an die Hauptstraße kamen. »Schön, dass da mal jemand sorgfältig recherchiert hat.«
Das meiste im London des siebzehnten Jahrhunderts sah aus, als hätte jemand aufs Geratewohl Bauklötze übereinandergestapelt. Während Geoff den Touristen durch die engen Straßen folgte, blickte er immer wieder nervös zu den hohen Holzgebäuden empor, die links und rechts von ihm standen. Er hatte Zweifel an deren Stabilität. Die meisten Häuser bestanden ausschließlich aus Holz und wirkten so windschief und zusammengeschustert, dass es ihn erstaunte, dass sie nicht längst eingestürzt waren. Eins war jedenfalls sicher: Da die Schwerkraft bisher offenbar versagt hatte, würde das bald ausbrechende Feuer diesen Gebäuden zweifellos den Garaus machen.
»Also, das ist eine typische Londoner Straße«, erklärte William der Gruppe. »Bitte beachten Sie, dass alle Gebäude ein sehr schmales Fundament haben, nach oben hin aber immer weiter vorragen. Im siebzehnten Jahrhundert war Überbevölkerung ein echtes Problem, und wie Sie selbst sehen können, schreckten manche Menschen vor nichts zurück, um mehr Wohnraum zu gewinnen.« Er zeigte nach oben. Die zwei Gebäude links und rechts von ihnen kragten im obersten Stockwerk so weit vor, dass sie praktisch zusammenstießen. Möglicherweise fand zwischen den Besitzern ja ein Wettbewerb statt, bei dem es um die Frage ging, welches Gebäude als Erstes einstürzen werde.
»Wollen wir dann weiter?«, sagte William, machte auf dem Absatz kehrt und lotste die Gruppe durch das Gedränge der Passanten in Richtung Pudding Lane.
Da es im London des siebzehnten Jahrhunderts weder Autos noch Busse noch Radfahrer noch Leute gab, die Unterschriften für irgendwelche Organisationen sammelten, hatte Geoff irgendwie erwartet, dass es hier wesentlich ruhiger zuginge als zu seiner Zeit. Doch das war nicht der Fall. Obwohl es schon fast Mitternacht war, wimmelte es auf der Straße noch immer von Kaufleuten, Prostituierten, Bauern, Adligen und vielen anderen. Manche waren so seltsam gekleidet, dass Geoff nicht zu erraten vermochte, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienten – was ihn an Leute erinnerte, die im PR -Bereich arbeiteten.
Er wollte unbedingt aus William herausbekommen, wie es denn so war, Zeitreiseführer zu sein. Deshalb überholte er die Touristen und gesellte sich zu ihm.
»Ähm … hallo«, sagte Geoff.
»Ah! Mr. Stamp!«, erwiderte William. »Nun, was halten Sie von London? Prächtige Stadt, nicht wahr? Schade, dass es sie bald nicht mehr geben wird.«
»Ja, ganz nett«, entgegnete Geoff, der sich nicht sicher war, ob er Williams überschwängliche Begeisterung nicht doch ein bisschen irritierend fand. »Ich komme übrigens auch aus London.«
»Tatsächlich? Und wie ist es so? Hat sich viel geändert?«
In Anbetracht der Tatsache, dass die gesamte Stadt bald niederbrennen würde, hielt Geoff das für keine sonderlich intelligente Frage. Erwartete William etwa, dass London zu Geoffs Zeit immer noch brannte?
»Ich glaube, hier und da hat man einige Verbesserungen vorgenommen«, erklärte Geoff, während er über einen großen Haufen Pferdemist trat. »Elektrisches Licht, Kanalisation, breitere Straßen, ein unterirdisches Eisenbahnsystem – im Grunde genommen Kleinigkeiten.«
»Hört sich ja wunderbar an«, sagte William. »Vielleicht seh ich es mir eines Tages mal an.«
»Sie dürfen auch andere Orte besuchen?«
»O ja. Ich habe schon in vielen unterschiedlichen Epochen Urlaub gemacht. Der Wilde Westen Amerikas ist mein Favorit – spätes neunzehntes Jahrhundert.«
»Dann macht es Ihnen also Spaß,
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