Inversionen
sicher, nichts von alledem, was wir zu tun vermögen, wäre gut genug für die hohen Ansprüche der Dame«, sagte Herzog Ulresile in verbittertem oder vielleicht auch verächtlichem Ton. »Das hat sie uns deutlich genug zu verstehen gegeben.«
Die Ärztin zeigte ein kurzes, kleines Lächeln, wie ein Zucken, und sagte zum König: »Herr, würdet Ihr mich jetzt bitte entschuldigen?«
»Natürlich, Vosill«, antwortete der König und machte ein überraschtes und gleichzeitig besorgtes Gesicht. Sie wandte sich zum Gehen, und er hielt die behandschuhte Hand hoch, als ein Diener den mit Gold und Silber eingelegten Stab brachte, mit dem er gegen das falsche Ungeheuer kämpfen würde. In der Ferne erklangen Hörner und ertönte Jubel. »Danke«, sagte er zu ihr. Sie wandte sich noch einmal kurz zu ihm um, verneigte sich schnell und verließ dann den Raum. Ich folgte ihr.
Mein Meister weiß bereits, was sich abspielte, als die Überraschung, mit deren Vorbereitung der alte Herzog Walen fast ein ganzes Jahr lang beschäftigt gewesen war, schließlich auch auf die Ärztin übergriff, aber ich werde etwas über das Ereignis berichten, in der Hoffnung, das Bild, das er bereits davon hat, zu vervollständigen.
Der Hof war erst seit zwei Tagen wieder zurück in Haspide. Ich war noch nicht damit fertig, sämtliche Habseligkeiten der Ärztin auszupacken. Im Großen Saal sollte ein diplomatischer Empfang stattfinden, und die Anwesenheit der Ärztin war erbeten worden. Weder sie noch ich wußte, auf wen diese Bitte zurückzuführen war. Sie ging an diesem Morgen früh aus, da sie ihren Worten nach eines der Krankenhäuser aufsuchen wollte, denen sie regelmäßig Besuche abgestattet hatte, bevor wir Anfang das Jahres in äußeren Kreis des Zirkuliriums abgereist waren. Ich wurde angewiesen, zu Hause zu bleiben und damit fortzufahren, ihre Wohnung in Ordnung zu bringen. Soviel ich weiß, hat mein Meister die Ärztin von einem seiner Leute verfolgen lassen und herausgefunden, daß sie tatsächlich ins Frauenhospital ging und sich um einige der Kranken und Wöchnerinnen dort kümmerte. Ich verbrachte die Zeit damit, allerlei Glasgefäße und Phiolen aus mit Stroh ausgelegten Kisten auszupacken und eine Liste von frischen Zutaten zu erstellen, die wir im Laufe des nächsten halben Jahres für die Medikamente und Rezepte der Ärztin brauchen würden.
Sie kehrte etwa eine halbe Stunde nach dem Läuten der Morgenglocke in ihre Wohnung zurück, badete und legte etwas formellere Kleidung an, dann nahm sie mich mit in die Große Halle.
Ich kann mich nicht erinnern, daß dort eine Atmosphäre großer Erwartung geherrscht hätte, aber andererseits waren jede Menge Leute da, Hunderte von Höflingen, ausländische Diplomaten, Konsulatsvertreter, Adlige und Geschäftsleute, und alle wimmelten durcheinander, jeder zweifellos in eigenen Geschäften unterwegs und jeder ganz und gar überzeugt davon, daß diese wichtiger als die aller anderen waren und die besondere Aufmerksamkeit des Königs verdienten, sofern ihnen das helfen würde. Mit Sicherheit hatte die Ärztin keine Vorahnung, daß irgendein seltsames oder unliebsames Ereignis bevorstand. Wenn sie zerstreut wirkte, dann deshalb, weil sie mit dem Wiedereinrichten ihrer Wohnräume, ihres Arbeitszimmers sowie ihres Labors mit den chemikalischen Gerätschaften so schnell wie möglich weiterkommen wollte. Unterwegs zum Saal wies sie mich an, verschiedene Zutaten und Rohmaterialen aufzuschreiben, die sie, wie ihr plötzlich einfiel, in der nahen Zukunft brauchen würde.
»Ach, meine liebe Ärztin«, sagte Herzog Ormin und bahnte sich einen Weg durch einen exotisch gekleideten Haufen von Fremden, die in einer unverständlichen Sprache plapperten. »Man hat mir gesagt, daß jemand hier ist, der Euch sprechen möchte, Madame.«
»Ach, ja?« sagte die Ärztin.
»Ja«, antwortete Ormin. Er stand zur Abwechslung einmal aufrecht da und ließ den Blick über die Köpfe der Menge wandern. »Unser neuer Herzog Walen und - ach – Wachkommandant Adlain haben so etwas gesagt.«
Er blinzelte in die Ferne. »Ich habe nicht alles mitbekommen, und sie erschienen mir ein wenig… Ach, da sind sie ja. Dort drüben.« Der Herzog winkte, dann sah er die Ärztin an. »Habt Ihr jemanden erwartet?«
»Jemanden erwartet?« wiederholte die Ärztin, während uns der Herzog in eine Ecke des Saales führte.
»Ja. Ich dachte nur… nun, ich weiß nicht…«
Wir näherten uns dem Wachkommandanten. Mir entgingen die
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