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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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waren bis zu den Knien entblößt und der Halsausschnitt ihres Kleides bis über die Brust hinunter aufgeknöpft. Eines der an der Decke hängenden Weihrauchgefäße schaukelte in trägen Schwüngen über ihrem Kopf und zog einen rauchigen, nach Kräutern riechenden Schweif nach sich. Sie hielt ein Weinglas in der Hand. Ihr Augen waren rot umrandet. Ich bekam den Eindruck, daß sie mit sich selbst gesprochen hatte. Sie wandte sich mir zu und sah mich mit einem wässerigen Blick an.
    »Ach, Oelph«, sagte sie.
    »Herrin? Ist alles in Ordnung mit Euch?«
    »Oh, eigentlich nicht, Oelph.« Sie nahm einen Becher zur Hand. »Möchtest du was trinken?«
    Ich sah mich um. »Soll ich vielleicht die Wohnungstür schließen?«
    Anscheinend dachte sie intensiv darüber nach. »Ja«, sagte sie dann. »Geschlossene Türen scheinen das Gebot des Tages zu sein. Warum nicht? Dann komm zurück und trink was. Es ist so traurig, allein zu trinken.«
    Ich ging und schloß die Tür, fand ein Glas und trug einen zusätzlichen Stuhl in das Arbeitszimmer, um mich zu ihr zu setzen. Sie goß etwas Schnapsartiges in mein Glas.
    Ich betrachtete die Flüssigkeit. Sie roch nach nichts. »Was ist das, Herrin?«
    »Alkohol«, sagte sie. »Sehr rein.« Sie schnupperte daran. »Obwohl er immer noch ein aufdringliches Bouquet hat.«
    »Herrin, ist das das Destillat, das Ihr vom königlichen Apotheker für uns herstellen laßt?«
    »Eben jenes«, sagte sie und trank von ihrem Glas.
    Ich nippte daran, dann hustete ich und bemühte mich, das Zeug nicht wieder auszuspucken. »Es ist stark, nicht wahr?« sagte ich heiser.
    »Es muß so sein«, sagte die Ärztin in düsterem Ton.
    »Was ist los, Herrin?«
    Sie sah mich an. Nach einer Weile sagte sie: »Ich bin eine sehr törichte Frau, Oelph.«
    »Herrin, Ihr seid die klügste und weiseste Frau, der ich je begegnet bin, tatsächlich seid Ihr eine der klügsten und weisesten Personen, denen ich jemals begegnet bin.«
    »Du bist zu liebenswürdig, Oelph«, sagte sie und starrte dabei in ihr Glas. »Aber dennoch bin ich töricht. Niemand ist auf der ganzen Linie klug. Es scheint so, als müßte es für jeden von uns einen Bereich geben, in dem er dumm ist. Ich war sehr dumm, was den König betrifft.«
    »Was den König betrifft, Herrin?« fragte ich beunruhigt.
    »Ja, Oelph, was den König betrifft.«
    »Herrin, ich bin sicher, der König ist überaus umsichtig und verständnisvoll und wird nichts, was immer Ihr getan haben mögt, gegen Euch verwenden. Allenfalls dann, wenn die Beleidigung, falls es eine Beleidigung gab, für Euch größer ist als für ihn.«
    »Ach, es war keine großartige Beleidigung, Oelph, es war schlichtweg… Dummheit.«
    »Das kann ich kaum glauben, Herrin.«
    »Mir geht es genauso. Ich kann es auch kaum glauben. Aber ich habe es getan.«
    Ich nahm einen winzigen Schluck aus meinem Glas. »Könnt Ihr mir erzählen, was geschehen ist, Herrin?«
    Sie sah mich wieder mit einem unsteten Blick an. »Kannst du das, was ich dir erzähle…«, setzte sie an, und ich muß gestehen daß mein Herz bei diesen Worten in meine Stiefel hinunterrutschte. Aber ich wurde durch ihre nächsten Worte vor einer weiteren Ausbreitung meines Meineids und meines Verrats oder vor einer leichtfertigen Offenbarung meinerseits bewahrt. »O nein«, sagte sie, schüttelte den Kopf und rieb sich mit der freien Hand durchs Gesicht. »Nein, es ist gleichgültig. Die Leute werden es erfahren, wenn es der König so will. Es ist sowieso gleichgültig. Wem macht das schon etwas aus?«
    Ich sagte nichts. Sie biß sich auf die Unterlippe, dann nahm sie noch einen Schluck. Sie lächelte mich traurig an und sagte: »Ich habe dem König gestanden, welche Gefühle ich für ihn hege«, sagte sie und seufzte. Sie zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: ›So, da haben wir die Bescherung.‹
    Ich sah zu Boden hinab. »Und welche Gefühle sind das, Herrin?« erkundigte ich mich leise.
    »Ich könnte mir denken, daß du das ahnst, Oelph«, sagte sie.
    Ich ertappte mich dabei, daß ich mir ebenfalls auf die Unterlippe biß. Ich trank einen Schluck, um irgend etwas zu tun. »Ich bin sicher, wir beide lieben den König, Herrin.«
    »Jeder liebt den König«, sagte sie verbittert. »Oder behauptet jedenfalls, den König zu lieben. Das ist das Gefühl, das von einem erwartet wird, zu dem man verpflichtet ist. Ich empfand etwas anderes. Etwas, das zuzugeben eine große Dummheit und unprofessionelle Handlung von mir war, aber ich habe es

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