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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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umgewandelt wurde.«
    »Bestimmt glaubtet Ihr einen Grund zu haben, das zu tun.«
    »Ja.«
    »Und warum glaubtet Ihr das?«
    »Weil ich die Geschichte jemandem erzählen wollte, aber ich konnte sie unmöglich einem Kind wahrheitsgemäß erzählen. Es ist die einzige Geschichte, die ich kenne und die ich des Erzählens für wert halte, die Geschichte, über die ich am meisten nachdenke, die Geschichte, die ich in meinen Träumen immer wieder durchlebe, die Geschichte, die einem das Gefühl gibt, sie müsse erzählt werden, und dennoch würde ein Kind sie nicht verstehen können, oder wenn doch, dann wäre es unmenschlich, sie ihm zu erzählen.«
    »Hmm. Das hörte sich nicht an wie eine der Geschichten, die Ihr mir jemals erzählt habt.«
    »Soll ich sie Euch jetzt erzählen?«
    »Es hört sich an, als ob es schmerzhaft wäre, sie zu erzählen.«
    »Das ist es. Vielleicht ist es auch schmerzhaft, sie anzuhören.«
    »Möchtet Ihr sie mir erzählen?«
    »Ich weiß nicht.«
     
    Der Protektor kehrte in seinen Palast zurück. Sein Sohn lebte noch, obwohl sein Zugriff auf das Leben dürftig und zerbrechlich erschien. Doktor BreDelle löste Doktor AeSimil ab, aber ihm gelang es ebensowenig zu bestimmen, was dem Jungen fehlte, wie er in der Lage war, ihn erfolgreich zu behandeln. Lattens schwebte aus dem Bewußtsein und wieder hinein, manchmal unfähig, seinen Vater oder sein Kindermädchen zu erkennen, während er sich bei anderen Gelegenheiten im Bett aufrichtete und verkündete, er fühle sich viel besser und sei beinahe gesund. Diese Perioden der Klarheit und scheinbaren Genesung wurden jedoch immer seltener, der Junge verbrachte immer mehr Zeit zusammengeringelt in seinem Bett, schlafend oder in einem Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachsein, mit geschlossenen Augen, zuckenden Gliedmaßen, sich herumwälzend und strampelnd wie in einem Anfall. Er aß beinahe nichts und trank nur Wasser oder sehr stark verdünnten Fruchtsaft.
    DeWar hegte immer noch den Verdacht, daß Lattens auf irgendeine raffinierte Weise vergiftet werden könnte. Er vereinbarte mit dem Protektor und dem Leiter eines Waisenhauses, daß ein Zwillingspaar in den Palast gebracht werden sollte, um als Vorkoster für den Jungen zu fungieren. Die beiden Jungen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, waren ein Jahr jünger als Lattens. Sie waren von dürftigem Körperbau, und ein armseliger Eintritt ins Leben hatte ihnen eine schwächliche Konstitution eingebracht, die sie für jede daherkommende Krankheit anfällig machte. Dennoch gediehen sie, während Lattens immer schwächer wurde, indem sie freudig jede Mahlzeit bis zum letzten Bissen aufaßen, von der er kaum kostete, so daß es nach den verzehrten Portionen dem oberflächlichen Betrachter so vorkommen mußte, als sei er es, der die Mahlzeiten für sie vorkostete.
    Nach ihrer eiligen Rückkehr nach Crough hatten UrLeyn und sein unmittelbares Gefolge für einige Tage die Nachrichten von Ladenscion abgehängt, und es entstand ein beunruhigender Mangel an neuen Berichten von der Kriegsfront. UrLeyn stapfte im Palast herum, unfähig, sich auf irgend etwas zu konzentrieren, und fand sogar im Harem wenig Trost. Vor allem die jüngeren Mädchen ärgerten ihn mit ihren stümperhaften Bemühungen, Mitgefühl zu zeigen, und er verbrachte mehr Zeit mit Perrund als mit ihnen allen zusammen, wobei er meistens nur dasaß und sich mit ihr unterhielt.
    Eine Jagd wurde veranstaltet, doch der Protektor sagte sie kurz vor Beginn ab, aus Angst, das Treiben könnte ihn zu weit vom Palast und dem Krankenbett seines Sohnes wegführen. Er versuchte, sich den vielen anderen Belangen der Staatsführung zu widmen, brachte jedoch wenig Geduld auf für Kuriere, Abgesandte aus der Provinz oder ausländische Würdenträger. Er verbrachte viel Zeit in der Palastbibliothek und las alte Schriften über geschichtliche Ereignisse und die Leben vergangener Helden.
    Als schließlich Nachricht aus Ladenscion eintraf, war sie doppeldeutig. Eine weitere Stadt war eingenommen worden, doch es waren auch mehr Männer und Kriegsgerät verlorengegangen. Einige der Barone hatten durchblicken lassen, daß sie über Bedingungen reden wollten, die ihnen erlauben würden, in der Theorie und durch ein entsprechendes Unterpfand Tassasen gegenüber loyal zu bleiben, in der Praxis jedoch die Unabhängigkeit zu behalten, die sie durch ihre Rebellion erlangt hatten. Da die Generäle Ralboute und Simalg sich klar darüber waren, daß dies nicht der Kurs

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