Inversionen
Vosill«, sagte er durch zusammengepreßte Zähne, »ist der Umstand, daß man in einer Kutsche weniger Platz zum Manövrieren hat. Sie nehmen die ganze Straße ein, versteht Ihr? Ein Mann auf einem Reittier, nun, der kann alle Unebenheiten in der Oberfläche der Straße umgehen.«
»Ich verstehe, Herr. Dennoch, es ist eine Tatsache, daß Ihr den ganzen Tag im Sattel verbringt, auf und nieder hüpft und die kleinen Polster zwischen Euren Wirbeln zusammendrückt und so die Nerven einzwängt. Deshalb schmerzt Eure Wirbelsäule. In einer Kutsche zu liegen, wie sehr diese auch ruckein und hüpfen mag, wäre bestimmt besser für Euch.«
»Überlegt doch mal, Vosill!« sagte der König aufgebracht, wobei er sich auf einen Ellbogen stützte und sich zu der Ärztin umdrehte. »Was glaubt Ihr, wie es aussehen würde, wenn der König es sich auf einer bequemen Couch gemütlich machen und zwischen den parfümierten Kissen einer Damenkutsche liegen würde wie eine porzellanarschige Konkubine? Was müßte das für ein Monarch sein, der so etwas tut? He? Seid nicht albern.« Er legte sich wieder vorsichtig auf den Bauch.
»Ich gehe davon aus, daß Euer Vater so etwas nie getan hat, Herr.«
»Nein, er…«, setzte der König an, dann warf er einen argwöhnischen Blick zurück zur Ärztin, bevor er fortfuhr. »Nein, das hat er nicht. Natürlich nicht. Er pflegte zu reiten. Und ich werde reiten. Ich werde reiten und meinen Rücken kaputt machen, weil man das von mir erwartet. Ihr werdet meinem Rücken Linderung verschaffen, weil man das von Euch erwartet. Los jetzt, macht Eure Arbeit, Doktor, und hört auf mit diesem verdammten Predigen! Die Vorsehung bewahre mich vor dem schlauen Geschwätz von Frauen! Au! Würdet Ihr wohl aufpassen!«
»Ich muß herausfinden, wo es weh tut, Herr.«
»Nun, Ihr habt es gefunden. So, jetzt tut das, was Ihr tun sollt, nämlich die Schmerzen beenden. Wiester! Wiester!«
Ein anderer Diener eilte herbei. »Er ist gerade hinausgegangen, Hoheit.«
»Musik«, sagte der König. »Ich will Musik. Hol die Musiker.«
»Hoheit.« Der Diener wandte sich zum Gehen.
Der König schnippte mit den Fingern, um den Diener zurückzubeordern.
»Hoheit?«
»Und Wein.«
»Hoheit.«
»Was für ein wundervoller Sonnenuntergang, findest du nicht, Oelph?«
»Ja, Herrin. Die Entschädigung der Vorsehung dafür, daß der Himmel auf uns herabgefallen ist«, sagte ich, indem ich mir Jollisces Ausspruch ins Gedächtnis rief (ich war sowieso sicher, daß er ihn wiederum von jemand anderem aufgeschnappt hatte).
»Ich nehme an, irgend etwas muß es wohl sein«, pflichtete mir die Ärztin bei.
Wir saßen auf der breiten Vorderbank des Planwagens, der unser Zuhause geworden war. Ich hatte nachgezählt. Ich hätte elf der letzten sechzehn Nächte in der Kutsche geschlafen (für die anderen fünf war ich mit den anderen älteren Pagen und Lehrlingen in Gebäuden untergebracht gewesen, in denen wir unser Lager aufgeschlagen hatten), und ich würde wahrscheinlich noch weitere sieben Nächte von den nächsten zehnen dort schlafen, bis wir in der Stadt Lep-Skatacheis ankämen, wo wir einen halben Mond lang bleiben würden. Danach wäre der Wagen wieder für achtzehn Tage von einundzwanzig meine Heimat, bis wir Yvenage erreichten. Vielleicht neunzehn von zweiundzwanzig, wenn wir auf den Bergstraßen irgendwelchen Schwierigkeiten begegnen und aufgehalten würden.
Die Ärztin wandte den Blick vom Sonnenuntergang ab und blickte die Straße hinauf, die zu beiden Seiten gesäumt war von hohen Bäumen in sandiger Erde. Ein orange-brauner Dunst hing in der Luft über den schwankenden Aufbauten der größeren Kuschen vor uns. »Sind wir bald da?«
»Sehr bald, Herrin. Dies ist die längste Tagesreise an einem Stück. Die Späher dürften das Lager bereits in Sichtweite vor sich haben, und die Vorhut hat bestimmt schon die Zelte aufgestellt und die Feldküchen aufgebaut. Es ist ein langer Streckenabschnitt, aber man muß es so sehen, daß wir uns dadurch einen Tag sparen.«
Vor uns auf der Straße waren die großen Kutschen und Planwagen des königlichen Haushalts. Direkt vor uns waren zwei Zugtiere, deren breite Schultern und Rümpfe von einer Seite zur anderen schwankten. Die Ärztin hatte einen Fahrer abgelehnt. Sie wollte eigenhändig die Peitsche übernehmen (obwohl sie sie selten gebrauchte). Das bedeutete, daß wir jeden Abend die Tiere selbst füttern und versorgen mußten. Mir gefiel das nicht, obwohl meine Kollegen, die
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