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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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anderen Pagen und Lehrlinge, sicher Gefallen daran fanden und ihre Späße darüber machten. Bis jetzt hatte die Ärztin einen erheblich größeren Teil dieser niederen Arbeit übernommen, als ich erwartet hatte, aber mir waren diese Tätigkeiten grundsätzlich zuwider, und ich konnte es kaum glauben, daß sie nicht begriff, wie sie uns beide durch die Verrichtung derart erniedrigender Arbeiten der Lächerlichkeit preisgab.
    Sie betrachtete wieder den Sonnenuntergang. Das Licht fiel auf die Kante ihrer Wange und umrahmte sie mit einer Farbe wie von Rotgold. In ihrem Haar, das ihr lose über die Schulter fiel, strahlten Lichtreflexe wie eingesponnene Rubine.
    »Wart Ihr noch in Drezen, als die Steine vom Himmel fielen, Herrin?«
    »Hmm? Oh. Ja. Ich bin erst etwa zwei Jahre später weggegangen.« Sie schien in Gedanken verloren, und ihr Gesichtsausdruck war plötzlich melancholisch.
    »Seid Ihr zufällig über Cuskery gekommen, Herrin?«
    »Warum? Ja, Oelph, das bin ich«, sagte die Ärztin, und ihr Gesicht erhellte sich, als sie sich zu mir umwandte. »Hast du davon gehört?«
    »Nichts Bestimmtes«, sagte ich. Mein Mund war ziemlich trocken geworden, während ich überlegte, ob ich etwas von dem erzählen sollte, was ich von Walens Page und von Jollisce gehört hatte. »Ähm – ist es weit von dort bis hierher?«
    »Die Reise dauert ein gutes halbes Jahr«, sagte die Ärztin und nickte. Sie lächelte zum Himmel hinauf. »Ein sehr heißer Ort, schwül und dampfig und voller Tempelruinen und verschiedenen sonderbaren Tieren, die den Ort beherrschen, weil sie von irgendeiner alten Sekte für heilig gehalten werden. Die Luft ist gesättigt vom Duft von Gewürzen, und als ich dort war, herrschte eine Vollnacht, nachdem Xamis und Seigen beide längst untergegangen waren, beinahe gleichzeitig, und Gidulph, Jairly und Foy am Tageshimmel standen, und Iparine von der Welt verfinstert wurde, und für eine Stunde oder so nur das Licht der Sterne auf das Meer und die Stadt schien, und alle Tiere heulten in der Dunkelheit, und die Wellen, die ich von meinem Zimmer aus hören konnte, klangen sehr laut, obwohl es eigentlich nicht wirklich dunkel war, nur silbern. Leute standen auf der Straße und betrachteten schweigend die Sterne, als ob sie erleichtert wären, daß ihre Existenz kein Mythos war. Ich war in diesem Augenblick nicht auf der Straße, ich… ich hatte an jenem Tag einen schrecklich netten Kapitän der Meeresgesellschaft kennengelernt. Sehr gutaussehend«, sagte sie und seufzte.
    In diesem Augenblick war sie wie ein junges Mädchen (und ich ein eifersüchtiger Junge).
    »Fuhr Euer Schiff auf direktem Weg von dort nach hier?«
    »O nein, es gab noch vier weitere Etappen nach Cuskery: nach Alyle auf dem Meeresgesellschafts-Schoner Antlitz von Jairly«, sagte sie mit einem breiten Lächeln und starr geradeaus blickend. »Dann von dort nach Fuollah auf einem Dreiruderer, ausgerechnet… ein Farossi-Schiff von der eximperialen Marine, dann über Land nach Osk, und von dort nach Illerne mit einer Argosse aus Xinkspar, und schließlich auf einer Galiote des Mifeli-Händlerstamms nach Haspide.«
    »Das alles hört sich überaus romantisch an, Herrin.«
    Sie bedachte mich mit einem dem Anschein nach traurigen Lächeln. »Das Ganze entbehrte dann und dann nicht gewisser Nöte und Demütigungen«, sagte sie und tippte dabei auf den oberen Rand ihres Stiefels, »und ein paarmal wurde dieser alte Dolch gezogen, aber rückblickend muß ich sagen: ja, es war romantisch. Sehr romantisch.« Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus, dann drehte sie den Kopf und blickte zum Himmel hinauf, wobei sie sich die Augen zum Schutz gegen Seigen beschirmte.
    »Jairly ist noch nicht aufgegangen, Herrin«, sagte ich leise und war überrascht über die Kälte, die ich empfand. Sie sah mich sonderbar an.
    Etwas Vernunft kehrte zu mir zurück. Ungeachtet dessen, daß sie damals, während meines Fiebers im Palast, gesagt hatte, wir sollten Freunde sein, war sie immer noch meine Herrin, und ich war immer noch sowohl ihr Diener als auch ihr Lehrling. Und außer einer Herrin hatte ich noch einen Meister. Wahrscheinlich war nichts von alledem, was ich von der Ärztin erfuhr, neu für ihn, denn er hatte viele Quellen, aber ich konnte es nicht genau wissen, und deshalb war ich vermutlich ihm gegenüber verpflichtet, soviel wie möglich von ihr zu erfahren, für den Fall, daß ein kleines Stück davon sich als nützlich erweisen würde.
    »War das… ich

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