Inversionen
habe ich es getan… aber der Äquator signalisierte eine Veränderung, so wie er es angeblich oft tut, und von da an – nein. Ich vermisse immer noch meine Familie und meine Freunde, aber es tut mir jetzt nicht mehr leid, daß ich diese Entscheidung getroffen habe.«
»Glaubt Ihr, daß Ihr jemals zurückkehren werdet, Herrin?«
»Ich habe keine Ahnung, Oelph.« Ihr Gesichtsausdruck war gleichzeitig traurig und hoffnungsvoll. Dann brachte sie erneut ein Lächeln für mich zustande. »Ich bin schließlich die Ärztin des Königs. Ich würde meinen, daß ich meine Arbeit nicht ordentlich getan habe, wenn er es zulassen würde, daß ich wegginge. Vielleicht bin ich gezwungen, mich um ihn zu kümmern, bis er ein alter Mann ist oder bis er mit mir unzufrieden ist, weil mir ein Schnurrbart auf der Oberlippe wächst und mein Haupthaar schütter wird und mein Atem schlecht riecht, und er mir den Kopf abhacken läßt, weil ich ihn einmal zu oft unterbrochen habe. Dann wirst du vielleicht sein Arzt werden müssen.«
»O Herrin!« war alles, was ich herausbrachte.
»Ich weiß nicht, Oelph«, vertraute sie mir an. »Ich bin nicht gut im Planen. Ich warte ab und sehe, was das Schicksal für mich bereit hält. Wenn die Vorsehung, oder wie immer wir es nennen wollen, mir bestimmt, daß ich bleiben soll, dann bleibe ich. Wenn es mich auf irgendeine Weise zurück nach Drezen ruft, dann gehe ich.« Sie neigte den Kopf zu mir, und mit einem Blick, den sie vermutlich für verschwörerisch hielt, sagte sie: »Wer weiß, vielleicht führt das Schicksal mich zurück durch Äquatorial Cuskery. Vielleicht sehe ich meinen gutaussehenden Meeresgesellschafts-Kapitän wieder.« Sie blinzelte mir zu.
»Wurde das Land Drezen sehr stark beschädigt durch die Steine vom Himmel, Herrin?« fragte ich.
Anscheinend nahm sie keine Notiz von meinem Ton, der sich, wie ich befürchtete, außerordentlich frostig anhörte. »Mehr als Haspidus«, sagte sie. »Aber entschieden weniger als die Inlandsgebiete des Reiches. Eine Stadt auf einer weit nördlich gelegenen Insel wurde von einer Woge vollständig weggeschwemmt, wobei zehntausend oder mehr Menschen ums Leben kamen, und einige Schiffe gingen unter, und natürlich war die Ernte im ganzen Land für einige Jahre vernichtet, so stöhnten wenigstens die Bauern, aber die Bauern stöhnen schließlich immer. Nein, wir sind einigermaßen glimpflich davongekommen.«
»Glaubt Ihr, es war das Werk der Götter, Herrin? Es gibt Stimmen, die behaupten, die Vorsehung habe uns für etwas bestraft, oder vielleicht nur das Reich bestraft. Andere halten dagegen, daß es das Werk der alten Götter war und daß sie zurückkehren. Was meint Ihr?«
»Ich meine, jede dieser Möglichkeiten wäre denkbar, Oelph«, sagte die Ärztin nachdenklich. »Obwohl es in Drezen einige Leute gibt – Philosophen –, die eine viel schlichtere Erklärung haben, stell dir vor.«
»Wie lautet die, Herrin?«
»Das solche Dinge ohne jeden Grund geschehen.«
»Ohne Grund?«
»Ohne Grund, außer dem Wirken puren Zufalls.«
Ich dachte darüber nach. »Glauben sie nicht, daß es gut und schlecht gibt? Und daß einer es verdient, wenn man ihm nacheifert, und der andere nicht, sondern eher, daß er bestraft wird?«
»Nur wenige würden behaupten, daß es solche Wertigkeiten nicht gibt. Die meisten stimmen darin überein, daß es sie gibt, daß sie jedoch nur in unseren Gehirnen existieren. Die Welt an sich, ohne uns, erkennt solche Dinge nicht an, einfach deshalb, weil es keine Dinge sind, nur Gedanken, und die Welt enthielt keine Gedanken, bis die Menschen daherkamen.«
»Dann glauben sie also, daß der Mensch nicht zusammen mit der Welt erschaffen wurde?«
»Genau. Oder zumindest keine Menschen mit Verstand.«
»Sind das dann Seigenisten? Glauben sie, daß die Geringere Sonne uns geschaffen hat?«
»Einige behaupten das. Sie sind der Ansicht, daß die Menschen einst nichts anderes waren als Tiere und daß sie zu sehr daran gewöhnt waren, sofort einzuschlafen, wenn Xamis unterging, und aufzustehen, wenn er aufging. Manche glauben, daß wir nichts als Licht sind, daß das Licht von Xamis die Welt zusammenhält wie einen Gedanken, wie einen äußerst komplizierten Traum, und das Licht von Seigen ist der ureigene Ausdruck von uns als denkende Wesen.«
Ich versuchte, diese sonderbare Vorstellung zu begreifen, und war gerade im Begriff zu beschließen, daß sie sich gar nicht so sehr von normalen Glaubensgrundsätzen unterschied, als die
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