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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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Fernsehtalentshows gewonnen hatten; von Müttern, die die Graffiti und sinnlose Gewalt in ihrer Siedlung leid waren und beschlossen hatten, selbst für Sauberkeit zu sorgen; und eine besonders herzzerreißende Geschichte von einer Mutter, deren zweijähriger Sohn es irgendwie geschafft hatte, den gesicherten Fensterriegel zu öffnen und sich aus dem neunten Stock eines Blocks wie diesem in den Tod zu stürzen. Unzählige Tassen Tee hatte er in Küchen wie dieser hier links vom Flur getrunken. Und einen Moment lang glaubte er verrückterweise, Atkins würde ihm genau das anbieten: eine schöne Tasse Tee.
    Stattdessen zog Atkins den Regenmantel aus und hängte ihn auf einen Garderobenhaken. Dann stand er in seinem Tweedjackett da, die Hände an den Hüften. »Willkommen in meiner bescheidenen Herberge«, sagte er mit einem merkwürdigen Lächeln. »Sie entspricht zwar nicht dem, was ich mir einst als meine Wohnstatt ausgemalt habe, aber sie muss genügen. Überdies möchte ich erwähnen, dass sie recht komfortabel ist.«
    Während er sprach, fiel Neil auf, dass ihm Luft durch eine Lücke zwischen den Schneidezähnen pfiff. Neil nahm jedes Geräusch besonders deutlich wahr: das Ticken der Uhr im Flur, das Gurgeln des Boilers, als die Zentralheizung ansprang. Er stand da, sah diesen unscheinbaren kleinen Mann an und fragte sich, was er tun solle, in welcher Gefahr er womöglich schwebe. Es war Atkins, der das Schweigen brach.
    »Nun denn«, sagte er und rieb die Hände wie Uriah Heep. »Sie werden meine Wand sehen wollen.« Und Neil, dessen Reporterneugier geweckt war, folgte ihm den engen Flur entlang ins Wohnzimmer.
    Große Glasflügeltüren führten hinaus auf einen Balkon. Draußen glitzerte das nördliche London in seiner Feierabendpracht. Die hell erleuchteten Fenster im gegenüberliegenden Wohnblock blendeten fast, und während die Stadt draußen in ihrer gewohnten Alltagshektik gefangen war, schien drinnen die Zeit deutlich verlangsamt.
    »Hinter Ihnen«, sagte Atkins. Beim Klang seiner Stimme zuckte Neil zusammen. Er drehte sich um und holte unwillkürlich tief Luft. Die breite Wohnzimmerwand war komplett mit Zeitungsartikeln beklebt, Ausschnitten aus Zeitungen und Magazinen. Stolz stand Atkins davor. In seinem Tweedjackett sah er wie der Inbegriff eines Lehrers aus, der sich vor seiner Tafel aufgebaut hat. Neil trat näher. Als Erstes fielen ihm die Gesichter auf den Ausschnitten auf: Frauengesichter, mal lächelnd, mal streng, aber beinahe ausnahmslos alle sehr selbstbewusst. Bilder von Frauen in eleganten Kostümen und Frauen in Abendkleidern; Frauen mit Violinen und Frauen mit Büchern; Frauen, die auf Pferden saßen, und Frauen an Schreibtischen. Neil musste an die Website der Lady Jane Grey denken. Hier waren all die reichen Töchter versammelt, inzwischen erwachsen. Frauen, Dutzende von Frauen. Die Artikel erstreckten sich über die gesamte Wand. Einige der Ausschnitte wirkten ganz neu, andere vergilbt und zerknittert.
    »Lauter Schülerinnen der Lady Jane Grey«, erklärte Atkins stolz. »Jede Einzelne von ihnen.«
    Neil bemerkte, dass in jedem Artikel mit gelbem Textmarker die Worte »Lady Jane Grey« hervorgehoben waren. In jedem Beitrag, jedem Interview, jedem Porträt hatte der jeweilige Journalist an irgendeiner Stelle erwähnt, auf welcher Schule die Frau gewesen war, über die er schrieb. Und damit hatte er ihr Schicksal besiegelt.
    Neil trat noch näher heran, um die Artikel lesen zu können. Er fühlte sich von dem kleinen Mann in seinem Tweedjackett merkwürdigerweise bloß angewidert, nicht jedoch bedroht. Er sah Porträts von einer olympischen Reiterin, einer Schriftstellerin und einer jungen Ministerin. Da war Susan Sullivan, stark und streng in ihren glänzenden Lederstiefeln; Serena Harcourt, mollig und zufrieden mit ihrer Tochter und ihrem rotgesichtigen Ehemann; Hattie Fox auf dem Titelbild einer Zeitschrift - »Meine Schnapshölle« war die Schlagzeile. Aber es war kein Bild von Kate da, bloß ein kurzer Ausschnitt aus einer der Londoner Gratiszeitungen, in dem erwähnt wurde, dass sie eine Zeugin im Todesfall von Hattie war. Neil streckte die Hand aus und berührte den Ausschnitt.
    »Sie ist verschlossen, Ihre Frau, nicht wahr? Ich hätte nie erfahren, dass sie eine Schülerin der Lady Jane war, wenn ich nicht alles gelesen hätte, was ich über Hattie Fox fand.«
    Neil musterte wieder die anderen Ausschnitte an der Wand. »Wie viele?«
    Ein Lächeln trat in Mr. Atkins' Gesicht. »Wie

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